Furor
um diese Aufzeichnungen gemacht?
Sebastian verließ das Zentrum, enttäuscht von dem, was er gesehen hatte. Ihm fiel ein, dass Steadman ihn hatte sprechen wollen.
Das Büro lag auf dem gleichen Flur wie das Zimmer seines Vaters. Er klopfte an Steadmans Tür und trat ein, als er dessen Stimme hörte.
Der Raum, in dem der Wissenschaftler an seinem Schreibtisch saß, hatte die gleiche Größe wie das Büro seines Vaters und war ähnlich ausgestattet. Doch hier herrschte eine andere Atmosphäre. Das Regal war voll von gebundenen Zeitschriften und Büchern, doch stand hier akkurat Band neben Band. Die Ordnung bildete einen krassen Gegensatz zu dem Chaos in Christian Raabes Büro. Als Sebastian eintrat, stand Steadman auf. Er hatte an einem dicken Manuskript gearbeitet. Vielleicht eine Doktorarbeit, die er betreute.
»Schön, dass du da bist«, begrüßte er Sebastian. »Ich habe noch eine wichtige Frage an dich.« Steadman blieb neben dem Schreibtisch stehen und klopfte beim Reden mit den Fingern auf den Bildschirm. Er wirkte ausgesprochen nervös.
»Aber sag erst mal, wie geht es dir? Du siehst schlecht aus, ehrlich gesagt.«
Sebastian nickte. »Ich fühle mich auch nicht besonders.«
Er wandte sich dem Fenster zu. Graue Wolken hingen über der Stadt, die Sonne war ein verwaschener dreckig-gelber Fleck. Er spürte, dass Steadman hinter ihn trat und ebenfalls aus dem Fenster sah.
»Trübe Aussichten, was?«
»Hm.«
In einem Raum unter ihnen begannen die Magnetspulen eines Kernspintomographen zu arbeiten. Hier oben war nur ein leises, dumpfes Hämmern zu hören.
»Ich liebe dieses Gerät. Wir schauen dem Gehirn beim Denken zu. Ist das nicht fantastisch? Ich werde es nicht leid, es zu hören.« Dann schwieg er eine Weile. Schließlich fasste er Sebastian bei den Schultern, ließ aber sofort wieder los. Sebastian drehte sich um.
»Ich möchte dich etwas fragen.« Steadman klang plötzlich sehr ernst. »Hast du eine Ahnung, woran dein Vater in letzter Zeit gearbeitet hat?«
Sebastian war überrascht. Er glaubte, einen drängenden Ton in Steadmans Stimme zu hören. Wenn sein Vater hier an etwas geforscht hatte – und er hatte bestimmt nicht an einem Liebesroman geschrieben –, dann müsste Steadman das ja wohl mindestens so gut wissen wie er. Sebastian schüttelte den Kopf.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Sebastian. Ich glaube nicht, was die Polizei erzählt. Dein Vater hat nicht getrunken. Dennoch: Er war in letzter Zeit tatsächlich sehr verschlossen. Von seiner Arbeit hat er kaum noch jemandem erzählt. Vielleicht ist es aber für das Institut wichtig. Dein Vater hat zu jeder Zeit alle seine Kräfte in den Dienst des Instituts gesteckt. Er wollte stets nichts anderes als unser Wissen mehren. Er muss an etwas wirklich Wichtigem gearbeitet haben. Bitte denk nach, ob er dir irgendetwas erzählt hat.«
Sebastian schaute ihn an. Steadman wirkte erschöpft. Etwas schien ihn zu belasten. Mit ernster Stimme fuhr er fort: »Er hat offensichtlich in letzter Zeit an etwas gearbeitet, über das er mit niemandem gesprochen hat. Vermutlich wollte er nur gesicherte Ergebnisse vorweisen, verständlich. Aber dann hat dieser schreckliche Unfall seine Arbeit unterbrochen. Äh . . . abge . . ., tja.«
Steadman wirkte plötzlich sehr unsicher.
Kein Unfall, dachte Sebastian, kein Unfall. Mord. Seine Augenhöhlen brannten, und er biss sich auf die Lippen. Steadman interpretierte seinen Gesichtsausdruck falsch und hob beschwörend und beschwichtigend die Hände.
»Entschuldige bitte, es tut mir Leid. Ich sollte dich nicht damit behelligen. Wenn es nur nicht so wichtig für das Institut wäre.« Er bemühte sich um einen betroffenen Gesichtsausdruck, wirkte dabei aber eher wie ein Vollidiot.
»Also, es wäre sicher im Sinne deines Vaters, wenn das Wissen,sein neues Wissen, der Allgemeinheit zugänglich würde«, meinte er.
Diese Allgemeinheit, dachte Sebastian, bist vermutlich du selbst.
»Sebastian, ich bitte dich deshalb: denk nach. Vielleicht fällt dir ja noch etwas ein? Hat er dir gegenüber irgendwelche Andeutungen gemacht? Hast du eine Ahnung, wo er die entsprechenden Unterlagen haben könnte? Wir wären für jeden Hinweis dankbar.«
Wenn sein Vater niemandem von seiner Arbeit erzählt hatte, hatte er sicherlich seine Gründe. Wieso verbrachte er lange Abende im Institut, ohne dass jemand wusste, was er tat? Wenn er selbst es niemandem erzählt hatte, dann würde er, Sebastian, jetzt auch niemandem
Weitere Kostenlose Bücher