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Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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Eisenträger ragten kahl aus den unverputzten Wänden. Dort, wo der Gang endete, hörte auch das Gebäude auf. Vermutlich sollte hier vom Boden bis zur Decke ein Fenster installiert werden. Er beugtesich vorsichtig vornüber. Sein Blick wanderte gute dreißig Meter senkrecht an der Außenwand des Gebäudes hinunter, als er sich aus der Öffnung hinausbeugte. Sebastian spürte, wie sich aus der Erinnerung ein Schwindelgefühl in ihm ausbreitete. Dazu kam, dass ihn durch das Bild auch selbst ein leichter Schwindel erfasst hatte. Ihm wurde also sozusagen doppelt schwindelig. Aber dann wurde dieses Gefühl von dem seltsamen Verlangen verdrängt, sich vornüberkippen zu lassen. Es war dieses Drängen, das einen manchmal überkommt, wenn man irgendwo in sehr großer Höhe steht, auf einem Turm oder Balkon, und hinunterschaut. Ob dieses Gefühl nun von ihm selbst stammte oder ob er es aus den fremden Erinnerungen übernahm, war ihm momentan nicht klar. Er war jedenfalls froh, dass er nicht wirklich in Gefahr war, sich fallen zu lassen. Scheiße, vielleicht waren dies ja die Erinnerungen eines Selbstmörders, der sich jetzt gleich von diesem Gebäude stürzen würde. Fallen, fallen, immer tiefer, während der Wind in seinen Ohren pfiff. Die Erde würde rasend schnell und immer schneller auf ihn zustürzen, immer mehr von seinem Blickfeld einnehmen, der Horizont würde immer weniger Himmel zeigen. Die Details der Gegenstände dort unten, Autos, Menschen, würden sich immer klarer aus dem Dunst schälen, Hüte, entsetzt zu ihm aufschauende Gesichter.
    Dann ein dumpfer Schlag, wenn sich sein Körper brutal mit dem Erdboden vereinigt und sein Geist frei wird.
    Die beängstigende und zugleich faszinierende Erwartung erfüllte sich nicht. Der Blick wanderte wieder hinauf, schwang sich über die Stadt. Die Aussicht kam Sebastian bekannt vor. Natürlich, schließlich lebte er in München, seit er denken konnte. Aber dies war nicht seine Erinnerung. Also hatte der Mensch, von dem sie stammte, sich zumindest vorübergehend in München aufgehalten. Oder brachte er da gerade etwas durcheinander?
    Mit einem Mal breitete sich eine wohlige Wärme in ihm aus, gepaart mit einem Gefühl der Erregung. Eine Art Spannung erfüllte ihn, und er spürte einen warmen Atemhauch auf seinem Gesicht. Über ihm tauchte etwas auf, jemand. Er sah von unten auf den Hals und das Kinn eines Menschen. Eine Frau. Sie musste über ihn gebeugt sein, den Kopf in den Nacken gelegt. Nein, sie lag auf ihm. Er meinte, ihr Gewicht auf seinem Unterleib zu spüren. Die Erregung bekam einen eindeutigen Charakter. Es sah aus, als würde der Kopf der Frau von einer unsichtbaren Kraft nach hinten gezogen. Ihr Rücken bog sich so weit durch, dass er, obwohl sie ihr Becken noch immer flach auf das seine drückte, jetzt kaum noch etwas von ihrem Gesicht sehen konnte. Die Kuppeln ihrer herausgedrückten Brüste nahmen fast sein gesamtes Gesichtsfeld ein, ihre Brustwarzen ragten wie die Spitzen kleiner Finger in die Luft. Nach einigen ewigen Sekunden beugte sie sich wieder nach vorn, und er sah ihr glückliches Gesicht. Es traf ihn wie ein Stromschlag. Mit einem Ruck stoppte er das Band.
    Er hatte mit seiner eigenen Mutter geschlafen.
    »Du hast was?«
    »Ich habe Erinnerungen meines Vaters gesehen, die er aufgezeichnet haben muss, als er noch gelebt hat«, wiederholte Sebastian. Seine Freunde schauten ihn fassungslos an.
    »Und du bist ganz sicher, dass es Aufnahmen von deinem Vater waren?«, fragte Mato. Hobbes schwieg. Er musste das, was sie gerade gehört hatten, noch verarbeiten.
    »Dann hat er es tatsächlich geschafft, Erinnerungen eines lebenden Menschen zu speichern«, brach es schließlich aus Sebastian hervor. »Und er hat niemandem etwas gesagt. Die Schallmauer durchbrochen. Ohne einen Ton.«
    »Wieso hat er denn niemandem etwas gesagt? Ein Riesendurchbruch. Und er will nichts weiter, als dass sein Sohn, ohnedass der weiß, worum es eigentlich geht, alles wieder zerstört?« Mato schüttelte fassungslos den Kopf.
    Hobbes wirkte ärgerlich, als er ihm antwortete. »Mann, denk doch mal nach, was das für Konsequenzen haben könnte. Bisher war alles, was mit Erinnerungsfilmen zu tun hatte, doch immer noch Grundlagenforschung.«
    »Bis auf diese Mordfälle«, warf Mato ein.
    »Ja, aber dabei kam nichts heraus, und die Filme hätten sowieso nur als Indiz gegolten. Und jetzt, Mann! Eingriffe bei Lebenden! Das bedeutet, es ist möglich, Leute zur Preisgabe ihres

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