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Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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den Computer zu starten. Auch seine eigenen Versuche dürften dort aufgelistet sein.
    Er klickte die Zeile an. Der Bildschirm wurde schwarz, und eine weiße Fläche in der Größe einer DIN A5-Seite erschien. Eine einzelne Zeile stand dort:
    Nicht legitimierte Zugriffe der letzten ___ Tage
    Hinter dem Wort
letzten
blinkte ein Cursor. Sebastian tippte 14 ein und drückte auf
Return
.
    Eine Reihe von Zeilen scrollte von unten nach oben und stoppte so, dass die erste Zeile gerade noch am oberen Bildschirmrand zu sehen war. Auf den ersten Blick erkannte er im unteren Bereich seine eigenen Versuche, den Rechner zu starten.
»Mellon«
stand dort und
»Hicsum«
. Vor jedem Versuch standen Datum und Uhrzeit. Dann sah er sich die oberste Zeile an.
    Jovdi
,
    Was war denn das für eine abgefahrene Buchstabenkombination? Mit einem Komma? Sein Blick streifte die Tastatur, auf der locker die Finger seiner linken Hand lagen. Dann begriff er: Sein Vater hatte Zehnfingersystem geschrieben, ohne aufdie Tastatur zu schauen. Diesmal hatte er nicht bemerkt, dass seine Hände um einen Buchstaben nach rechts versetzt auf den Tasten lagen.
    Darunter, zwei Tage später datiert, stand:
»hicsumn«
. Diesmal war der Zeigefinger der rechten Hand auf zwei Tasten gleichzeitig geraten. Die dritte Meldung stammte von dem Tag, als sein Vater auf das Fahrstuhldach gestiegen war. Es stand dort der Name von Sebastians Mutter. Wieso . . .?
    Sebastian kratzte sich nachdenklich am Kinn. Seltsam. Unter dem Namen seiner Mutter folgte sein eigener Name, Sebastian. Und dann kamen Zahlenfolgen. Die erste gab den Geburtstag seiner Mutter wieder, die nächste seinen eigenen Geburtstag.
    Ihm fiel die Uhrzeit der Meldungen auf. Die erste stammte von 01.18 Uhr. Es war die Nacht, in der sein Vater sich umgebracht hatte. Die zweite war um 01.19 Uhr erfolgt. Und die nächsten folgten jeweils im Abstand von Minuten.
    Sebastian wurde plötzlich heiß. Und während ihm zugleich der kalte Schweiß ausbrach, begriff er: Bereits in dieser Nacht hatte jemand versucht, an die Daten heranzukommen.
    Dass sich jemand mit dem Rechner beschäftigt hatte, war keine Überraschung. Schließlich hatte die Polizei den Tod von Christian Raabe untersucht. Aber in dieser Nacht, als sein Vater auf dem Fahrstuhldach lag?
    Jemand musste gewusst haben, dass sein Vater sich umzubringen versucht hatte. Hatte dieser Jemand ihn schon so früh gefunden und es nicht gemeldet und war statt dessen in das Büro eingedrungen, um den PC zu starten?
    Oder . . . in Sebastians Kopf formte sich ein Gedanke.
    Sein Vater hatte nicht getrunken. Er war nicht im Suff gestorben.
    Diese Daten waren der Beweis. Jemand hatte ihn getötet und dann in seinem Büro herumgeschnüffelt.
    Sebastian spürte, wie seine Hand zu schmerzen begann. Seine Finger krampften sich um die Maus. Dann ließ er sie so heftig los, dass sie über den Tisch flog und zwischen den Zeitungen stecken blieb. Gleichzeitig riss er die andere Hand von der Tastatur und sprang auf. Diese Maus hatte vielleicht der Mörder benutzt. Diese Tastatur . . . und auf diesem Stuhl hatte er gesessen. Sebastian merkte, wie ihm übel wurde.
    Dann packte ihn die nackte Verzweiflung. War sein Vater wirklich einem Mord zum Opfer gefallen? Nie war Sebastian sich so verloren vorgekommen. Verloren und hilflos in einer Welt, in der ihm jetzt beide Eltern fehlten. Ein einfacher Tod im Bett, auf der Straße, durch Krebs, oder, in Gottes Namen, der Tod eines Betrunkenen auf dem Dach eines Fahrstuhls – das war schlimm, aber man konnte in Hilflosigkeit trauern, sich So-ist-das-Leben-Sprüche anhören und sie irgendwann vielleicht glauben oder einen Gott verfluchen. Das hatte beim Tod seiner Mutter funktioniert, als er und sein Vater sich keine große Hilfe gewesen waren. Aus Sebastians Gedächtnis stiegen Erinnerungen auf. Sie hatten sich beide in ihre Trauer zurückgezogen, nachdem sie sich zum ersten Mal, seit Sebastian fünf Jahre alt gewesen war, in den Armen gehalten hatten. Sie hatten in diesem Augenblick weinend das Herz im Brustkorb des anderen schlagen gespürt, als wollten ihre Herzen für das eine mitschlagen, das für immer verstummt war.
    Aber sie hatten sich beide nicht geändert, und die, die sie sonst zusammengebracht hatte, war tot. Sie war ihr gemeinsamer Kanal gewesen, über den das Wort des einen überhaupt noch beim anderen ankam. Danach wussten sie nicht mehr, wie sie miteinander reden konnten. Und es war auch nicht mehr so wichtig. Sebastians Vater

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