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Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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erzählen, was er wusste. Und was wusste er schon. Er spielte mit den CDs in seiner Jackentasche. Besonders das File mit dem technischen Programm kam ihm in den Sinn. Er hatte es zerstören sollen. Dann war es sicher nicht im Sinne seines Vaters, wenn er es jetzt Steadman geben würde. Während der ihn erwartungsvoll ansah, überlegte Sebastian, was er sagen sollte. Eigentlich war es einfach. Was er wusste, war: nichts.
    »Ich muss Sie enttäuschen. Ich habe wirklich keine Ahnung. Wissen Sie, wir haben nicht sehr oft miteinander geredet.«
    Steadman war ganz offensichtlich unzufrieden mit der Antwort, versuchte das aber zu überspielen. »Hm. Schade. Es hätte wirklich wichtig sein können.« Er ließ die Schultern fallen. Nachdenklich senkte er den Blick auf die Spitzen seiner Schuhe. Sebastian wandte sich zur Tür.
    »Also dann . . .«
    »Augenblick noch.« Steadman sah ihn erneut eindringlich an. »Meinst du, er hat vielleicht etwas auf dem Computer hinterlassen?«
    Hätte Sebastian sich nicht so ausgebrannt gefühlt, er hättevielleicht eine auffällige Reaktion gezeigt. Zum Glück dachte er jetzt nur noch an das, was sein Vater ihm aufgetragen hatte. Ohne Steadman anzusehen, sagte er: »Ach ja. Der Computer. Sehen Sie einfach nach. Das Paßwort ist ›Hic sum‹.«
    »Ach! Wirklich?« Steadman hob überrascht den Kopf. »Sehr gut, sehr gut. Ausgezeichnet. ›Hic sum‹, sagst du? Okay, das kann ich mir merken.«
    Sebastian öffnete die Tür und verabschiedete sich von Steadman. Draußen lehnte er sich kurz mit dem Rücken an die Tür, die Klinke im Kreuz, und atmete tief durch. Dann stieß er sich ab, um noch mal in das Büro seines Vaters zu gehen. Er hatte dort etwas vergessen: Er wollte die Pistole besser verstecken, bevor er Gelegenheit hatte, sie mitzunehmen.
    Kaum hatte Sebastian die Waffe seines Vaters zusammen mit der Munition in dem abschließbaren Schreibtischfach verstaut und den Schlüssel eingesteckt, da stürzte Steadman herein. Erschrocken hielten beide den Atem an. Steadman schien peinlich berührt, aber er fasste sich schnell wieder. »Ich . . . ich dachte, ich schaue gleich mal nach, was für Daten auf dem Rechner sind.« Er lächelte. »Ist ja wirklich wichtig.«
    »Ja, klar«, antwortete Sebastian. Er ging ganz ruhig hinaus.
    Während er durch die Gänge des Instituts schritt, spürte Sebastian die CDs mit den Aufzeichnungen seines Vaters bei jedem Schritt. Sie stießen ihm durch das Futter der Jacke in den Bauch. Was würde er schließlich darauf finden? Er hatte Fragen, er hatte Zeit, und er hatte Möglichkeiten. Er würde sich die Erinnerungen auf den CDs nachher noch einmal in Ruhe anschauen. Zuerst holte er sich jedoch in der Cafeteria eine Packung Zigaretten und ging dann auf den Platz vor dem Institut, um eine zu rauchen. Er setzte sich auf die breiten Stufen vor dem Portal und zündete sich eine Kippe an. Ständig kamen Leute aus dem Gebäude heraus, andere gingen hinein, niemandachtete auf ihn. Aus den Blumenbeeten, die den Vorplatz vom Bürgersteig trennten, reckten grüne Knospen ihre Köpfchen in die Höhe. Und auch aus dem Asphalt des Fußgängerweges brachen hier und da ein paar Pflanzen durch. Ich drücke euch die Daumen, dachte Sebastian. Auch wenn ihr keine Chance habt. Und jetzt schauen wir uns noch einen Film an.

24. April, Nachmittag
    Wieder Gelb. Wieso immer Gelb?
    Diesmal hatte er die CD Nr. II eingelegt, ohne einen automatischen Abbruch zu programmieren. Aus dem eintönigen Bild wurde eine . . . Bratpfanne? Was für eine blöde Erinnerung. Eine Bratpfanne mit einem Spiegelei. Na toll. Die Pfanne kippte von dem undeutlichen Herd, und Sebastian spürte ein Zucken dort, wo Tropfen des heißen Öls seinen Fuß verbrühten. Der Schmerz war in der Erinnerung nur noch ein dumpfes, unangenehmes Gefühl. In der Wirklichkeit musste er ziemlich schlimm gewesen sein. Sebastian konnte sich nämlich daran erinnern, dass er barfuß gekocht hatte. Augenblick. Natürlich konnte nicht er sich erinnern, sondern der Mensch, dessen Film er sich hier ansah. Na gut, dieses Erlebnis war es wohl doch wert gewesen, sich daran zu erinnern. Zum Glück spürte man einen Schmerz nicht noch einmal, wenn man sich an ihn erinnerte. Man wusste zwar, etwas hatte sehr wehgetan, aber richtig vorstellen konnte man sich das nicht mehr. Sonst würde sicher niemand ein zweites Mal zum Zahnarzt gehen.
    Ein dunkler Gang. Er ging einen dunklen Gang entlang, in einem Rohbau, und er mündete ins Nichts.

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