Furor
frisch, kräftig.
»Das würde ich ihm gern am Telefon selbst sagen«, antwortete Sebastian. Jetzt fixierte sie ihn mit giftgrünen Augen, die so jung waren wie ihre Stimme.
»Ein bisschen Geheimniskrämerei? Geht bestimmt um eine furchtbar wichtige Sache, was? Verstehe.«
Sebastian war sich da nicht so sicher. Immerhin erbarmte sie sich und wählte eine Nummer.
»Hopp. Besuch für Sie«, sagte sie dann und reichte, ohne auf eine Antwort zu warten, Sebastian den Hörer. Als er ihn in der Hand hielt, drehte sie sich wieder weg und beschäftigte sich weiter mit den Zetteln auf der Pinnwand.
Der Typ, den er sprechen wollte, hieß doch nicht Hopp? Als er den Hörer ans Ohr drückte, sprach wer immer es auch war noch immer mit der Pförtnerin, beziehungsweise wünschte ihr die Pest an den Hals. Sebastian versuchte ihn höflich zu unterbrechen.
»Entschuldigung. Ich wollte eigentlich mit Herrn Streithammer sprechen.«
»Am Apparat. Was gibt es denn?«
»Mein Name ist Sebastian Raabe. Sareah Anderwald hat mich hergeschickt. Sie meinte, Sie könnten mir helfen. Ich müsste dringend an das Pressearchiv.«
»Ach, Sareah? Gut. Ich hole Sie in fünf Minuten am Eingang ab, muss nur noch schnell etwas fertig schreiben.«
Bingo!, dachte Sebastian, aber er hatte sich zu früh gefreut. Bis Streithammer schließlich kam, verging eine gute Viertelstunde. Wenn jemand an einem Rechner sitzt, dann dauert es nie nur noch fünf Minuten, dachte Sebastian. Vorher stürzt der Computer meist noch ab, man muss wichtige Daten retten, den technischen Service kommen lassen, weil man das Handbuch nicht versteht. Oder es ist keine CD mehr vorhanden, auf die Sicherungskopien gespeichert werden könnten. Also muss man los und erst im Lager neue CDs besorgen. Egal.
Schließlich ging die Fahrstuhltür auf, und ein leicht übergewichtiger Mann trat in die Eingangshalle. Er hatte sein graues Hemd nur locker in die Hose gesteckt und kaschierte so verschämt und unzureichend den Schwimmreifen um die Hüfte. Seine Frisur begann erst sehr weit hinten über der hohen Stirn, und die blonden Haare fielen in wenigen, aber gepflegten Strähnen bis auf den Hemdkragen. Sebastian schätzte ihn auf Mitte dreißig. Als Streithammer ihm gegenüber auf der anderen Seite der Absperrung stand, taxierte ihn der Redakteur mit rot geränderten Augen unter buschigen Brauen. Nach einer Sekunde reichte er Sebastian die Hand und stellte sich vor. Die Pförtnerin drückte auf einen Knopf, nickte Sebastian zu und gab ihm einen Besucherausweis.
»Woran arbeitet sie denn?«, fragte Streithammer und lotste Sebastian in Richtung Aufzug.
Ob er dachte, Sebastian würde für sie recherchieren? Na, egal. Sollte er ruhig in dem Glauben bleiben. Er antwortete ausweichend.
»Hirnforschung.«
»Hirnforschung? Ach du Scheiße.« Streithammer zog irritiert die Mundwinkel herunter und die Augenbrauen hoch. Durch die tiefen Falten, die sich dabei links und rechts von seinendicken Lippen bildeten, wirkte sein Gesicht wie die Fünf auf einem Würfel, die Nase als Punkt in der Mitte.
»Geht mich ja auch nichts an. Gehen wir.«
Er verabschiedete sich mit einem Winken von der uniformierten Dame. Als der Fahrstuhl kam, ließ Streithammer Sebastian mit einer großzügigen Geste den Vortritt. »Absturztest«, sagte er grinsend, als er ihm nach zwei Sekunden folgte. »Ich traue den Dingern einfach nicht.«
Sebastian konnte in diesem Moment nicht allzu sehr darüber lachen.
»Hat unser Wachhund Sie belästigt?«, fragte Streithammer. Zuerst verstand Sebastian nicht. Dann begriff er, dass der Redakteur die Pförtnerin meinte.
»Nein, nein. Ich habe mich aber gewundert, dass so eine alte Dame hier beschäftigt ist.«
»Tja, die alte Dame ist etwa 24. Sie leidet an Vergreisung. Eine seltene Krankheit. Manche sterben, bevor sie 20 sind.« Als Sebastian den Redakteur von der Seite betrachtete, sah er, dass der weder grinste noch sonst eine Gefühlsregung zeigte. Es war eine sachliche Feststellung gewesen, kein Witz.
Im dritten Stock stiegen sie aus und marschierten durch einen schmalen Gang, dessen Wände ab Brusthöhe aus Milchglasscheiben bestanden. Links und rechts wechselten sich Türen ab, durch die Sebastian einen Blick auf größere Räume erhaschte, in denen Leute an Computern arbeiteten oder sich über große Tische beugten und Papiere und Bilder umherschoben. Schließlich öffnete sich der Gang in einen Raum mit Teppichboden. Schreibtische standen hier seitlich an den Wänden, auf
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