Furor
schwarzen Silhouetten Menschen, die sich hinter einen Zaun duckten. Er war gerade Zeuge geworden, wie zahlreiche Menschen umgebracht worden waren.
Der Mensch, aus dessen Erinnerung diese Bilder stammten, hatte mit einer Maschinenpistole auf Kinder geschossen. Wie kam das in die Erinnerung seines Vaters? Sollte sein Vater . . . Nein. Nein, nein, nein!
War es die Erinnerung eines anderen, die sein Vater sich angesehen hatte und an die er sich erinnerte? Nein, nicht in so klaren Bildern. Niemals.
Es gab keinen Zweifel. Sein Vater hatte Kinder ermordet. Ein Kindermörder. Gott im Himmel, wenn es dich gibt, mach, dass das alles nicht wahr ist. Lass mich endlich aufwachen! Auszeit!, schrie es in seinem Kopf, Auszeit!
Ruhig, Junge, ruhig, ermahnte er sich. Ganz ruhig.
Langsam löste er die verkrampften, schmerzenden Finger vom schweißnassen Joystick. Er zitterte am ganzen Leib. Tief durchatmen, sagte er sich. Versuch einen klaren Kopf zu kriegen.
Große Fehler! Vielleicht hatte er eben gesehen, was sein Vater ›große Fehler‹ genannt hatte, die andere Menschen das Leben gekostet hatten. Den Tod dieser Menschen hätte sein Vater doch mit Sicherheit als Fehler betrachtet. Es schien zu passen. Aber was war wirklich passiert? Wie war es dazu gekommen? Wieso hatte sein Vater . . .?
Während Sebastian sich aufsetzte, wurde ihm wieder schwindelig. Er blieb eine ganze Weile sitzen und versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Dann beschloss er, seine Gedanken zu ordnen und sich so zurück in die Bahn zu zwingen.
Was konnte ihm helfen zu verstehen, was passiert war? Etwas Furchtbares . . . Ihm fiel der Brief seines Vaters an seine Mutter ein. War dies die Katastrophe gewesen? Einer der Menschen in der Erinnerung seines Vaters, eines der Opfer, hatte einen Poncho getragen. Sein Vater hatte diese Bilder aus Südamerika mit nach Haus gebracht!
Er zog den Brief aus seiner Jackentasche und faltete ihn mit flatternden Händen auseinander. Es war um eine Arbeit im Auftrag einer Regierung gegangen, zusammen mit irgendwelchem Militär. Das Ganze hatte in den Anden stattgefunden.
Sammel die Informationen, befahl sich Sebastian. Mach dir eine Liste.
In dem Brief stand der Name eines Generals und das Wort San Mateo. Und es gab Steadmans Formulierung: »Koinzidenz-Katastrophe«. Terroristen, denen man den Vorfall in die Schuhe schieben wollte. Dietz und die IS/STA – richtig! Hier hatte er zum ersten Mal davon gehört! Dietz’ zweimaliges Auftreten, erst im Innenministerium, dann im Brief seines Vaters, war sicher kein Zufall. Vielleicht waren es die losen Enden desselben Fadens? Vielleicht war das Stück, das damals begonnen worden war, noch nicht zu Ende? Aber was war das für ein Stück? Er musste mehr über das erfahren, was damals passiert war.
Sebastian kam eine Idee. Er musste die Presse sichten. Den Zeitpunkt des Vorfalls kannte er ja aus dem Tagebuch.
Also ins Internet. Oder, besser noch, Sareah verschaffte ihm Zugang zu einem Pressearchiv. Auf jeden Fall würde Sareah besser wissen, wie er an Informationen herankommen konnte, um aufzuklären, was damals in den Anden geschehen war.
25. April, früher Nachmittag
Sebastian hatte die Instituts-Bibliothek ganz für sich. Er setzte sich an einen der Rechner mit Internetzugang und loggte sich ein.
Das Erste, was er sich auf den Bildschirm holte, war ein Lexikon, danach einen Weltatlas, um herauszufinden, in welchem südamerikanischen Land sein Vater sich aufgehalten hatte. Als er Informationen über San Mateo abfragte, lieferte das Lexikon lediglich einen Hinweis auf eine Stadt an der Bay von San Francisco, in Kalifornien, mit 120 000 Einwohnern. Auf der Landkarte Südamerikas fand er dann gleich zwei Städte dieses Namens, eine in Venezuela, östlich von Caracas, die zweite in Peru, östlich von Iquitos, am Amazonas. Beide lagen nicht in unmittelbarer Nähe der Berge. Die konnte er getrost vergessen. Laut Computer gab es in den Anden demnach kein San Mateo. Das bedeutete, entweder war das San Mateo, auf welches sich sein Vater bezog, keine Stadt, sondern nur ein kleines Dorf, oder es war nicht mehr dort. Oder beides. Oder das war alles Unsinn, und Wallroth hatte die Wahrheit gesagt, als er behauptet hatte, sie seien damals nicht in Südamerika, sondern in Spanien gewesen.
Sebastian rief eine der Internet-Suchmaschinen auf und gab nacheinander die Begriffe
San Mateo, General Bartolo
und die Namen der deutschen Wissenschaftler sowie
Steadman
ein. Aber er
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