Fyn - Erben des Lichts
mir zu kämpfen. Zum Glück überlagerten die Ereignisse den Vorfall in der Akademie, sodass die Bewohner von Elvar sich schon bald anderen Gesprächsthemen als dem des explodierten Vectioletus widmeten. Ich bekam auf meinem Zimmer nicht viel mit, doch manchmal schaffte ich es, einen Blick auf eine Zeitung zu werfen, die in der Eingangshalle herumlag. Was ich dort las, beunruhigte mich zwar, jedoch empfand ich meine Probleme für den Augenblick noch als gewichtiger. Es war unruhig in der Stadt geworden, die Menschen begannen nun offen, ihre Missgunst gegenüber den Alven und dem König zum Ausdruck zu bringen, was einem Desaster gleichkam, denn der gesamte Norden des Reiches befand sich fest in Menschenhand. Drei Provinzen, darunter das mächtige Fürstentum von Menschenlord Awbreed von Denfolk, scharten eine Menge Anhänger um sich. Zwei schlechte Ernten und die hohen Steuern, die der König zu einem nicht geringen Teil für Schnickschnack und Kitsch ausgab, veranlassten die Menschen des Nordens, über eine Unabhängigkeit nachzudenken. Mit derlei Problemen beschäftigte ich mich jedoch kaum.
Nach fast drei Monaten – der Frühling hatte das Land bereits zurückerobert – verließ Per die Krankenstation und nahm wieder am gesellschaftlichen Leben teil, was für mich eine ganz besonders schwierige Situation darstellte. Ich kam nicht mehr umhin, ihm bei den Mahlzeiten im Speisesaal des Perlenturms zu begegnen, denn der König hatte die fixe Idee, den Unterricht fortzusetzen und die Schüler erneut aneinander zu gewöhnen. Ich hegte den Verdacht, dass die Unruhen im Land Castios dazu veranlassten, sich möglichst schnell neue Soldaten heranzuzüchten, aber angeblich wäre es Pers ausdrücklicher Wunsch gewesen, so rasch wie möglich zur Normalität zurückzukehren. So trafen auch bald die restlichen Schüler ein, und wir lebten wieder alle unter einem Dach. Für mich kam es einer Katastrophe gleich. Mehr als einmal spielte ich mit dem Gedanken, meine wenigen Habseligkeiten zu packen und zu verschwinden, doch mein Ehrgefühl hielt mich bislang erfolgreich davon ab. Nicht so Norrizz, der bekannterweise kein Ehrgefühl besaß. Er redete oftmals auf mich ein, ich sollte nicht zur Akademie zurückkehren. Immerhin war er es, der das Vectioletus falsch zusammengebaut hatte, doch mittlerweile war ich mir nicht mehr sicher, wo ich aufhörte und er begann. Mir drängte sich der Verdacht auf, dass er ein Produkt meiner Fantasie war, und somit zu mir gehörte. Ich war verrückt. Schizophren. Krank. Was auch immer.
Am Ende rang ich mich dennoch dazu durch, über meinen Schatten zu springen und meine Studien wieder aufzunehmen. Aufgeben war keine Option, es wäre nur ein weiterer Beweis meiner Unzulänglichkeit, und ich hasste Unvollkommenheit.
Kapitel 4
Prüfungen
Unsere Lehrer gaben sich alle Mühe, den Alltag möglichst schnell einkehren zu lassen und so zu tun, als hätte der Vorfall im Waffenunterricht nie stattgefunden. Doch jedes Bemühen, die Routine der ersten Semesterwochen wiederzubeleben, war vergebens. Sie versuchten uns mit einer Unmenge Schulaufgaben davon abzuhalten, an etwas anderes als die Ausbildung zu denken. Und obwohl wir uns tatsächlich die meiste Zeit des Tages mit unseren Studien beschäftigten, blieb immer noch genügend Zeit für einen hasserfüllten Blick, eine Gemeinheit oder sogar eine Rangelei, wenn keine Aufsichtsperson hinsah.
Pers Armstumpf zierten seit dem Unfall stramm gewickelte Leinentücher. Er ging nicht mehr ganz so aufrecht wie früher, seine Haut war noch blasser als zuvor. Dennoch hatte er nichts von seinem Temperament verloren, er feindete mich offen an. Ich versuchte, seine verbalen Attacken zu ignorieren. Meistens gelang mir das auch, nur Norrizz verlor jedes Mal die Beherrschung, wenn Per mit seinen wüsten Beschimpfungen loslegte. Ständig tauchte der Plagegeist neben mir auf, redete auf mich ein, lenkte mich ab. Seine Versuche, mir meine Ausbildung zu vereiteln, wurden offensichtlicher. Sogar während der Prüfungen warf er mit hereingerufenen Zahlen um sich, um mir meine Konzentration zu stehlen.
Das Verhältnis zu Vater erholte sich langsam, obwohl es sich mehr und mehr von einer klassischen Vater-Sohn-Beziehung zu entfernen schien. Vielmehr kam es mir vor wie das Verhältnis zweier Geschäftspartner, noch unterkühlter und nüchterner als zuvor. Dennoch freute ich mich jedes Mal auf den Tag, an dem wir freibekamen, um private Besorgungen und Pflichten zu erledigen. Ich
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