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Fyn - Erben des Lichts

Fyn - Erben des Lichts

Titel: Fyn - Erben des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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nicht an einer Locke blonden Haars erkannt hätte, die von seinem ansonsten kahlen und verbrannten Kopf abstand. Sein Gesicht glich einer unansehnlichen Fleischwunde. Sein rechter Arm endete knapp unter dem Ellenbogen. Sein Mantel war an einigen Stellen mit der Haut verschmolzen. Nur zwei Yards neben ihm lag Jonnef. Er rührte sich nicht, doch sein Brustkorb hob und senkte sich mit jedem Atemzug. Er sah beinahe unverletzt aus, bis auf eine Wunde am Kopf und ein paar verbrannte Stellen auf den Armen und im Gesicht. Als ich den Kopf hob, sah ich direkt in die hasserfüllten Augen von Galren, dessen Mantel ebenfalls ein paar Brandflecke aufwies. Silena stand neben ihm, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Sie schien von allen Schülern den geringsten Schaden davongetragen zu haben, weil sie am weitesten entfernt gestanden hatte. Kel und Trond lagen neben mir auf dem Boden, sie wälzten sich umher und jammerten. Wieder traf mich ein Schlag aufs Kinn, doch ich war mittlerweile wieder so weit bei Verstand, dass ich die Wucht durch ein Ausweichmanöver ein wenig abfangen konnte. »Du hast Per getötet! Du hast ihn getötet!« Galren kreischte mir die Worte förmlich entgegen. Erst langsam begriff ich, was geschehen war. Ich – Norrizz – hatte die Waffe falsch montiert.

    Die folgenden Tage und Wochen durchlebte ich ein Wechselbad der Gefühle. Der Unterricht wurde für mehrere Wochen ausgesetzt. Diejenigen unter den Schülern, die unversehrt und reisefähig waren, kehrten auf unbestimmte Zeit nach Hause zurück, nur Per verbrachte einige Wochen auf der Krankenstation im Palast. Zumindest war er nicht wie befürchtet tot, aber er hatte eine Hand verloren. Freilich eröffneten seine Eltern ein Verfahren gegen mich, das jedoch aus Mangel an Beweisen eingestellt werden musste. Obwohl Jonnef, der nur einen leichten Schlag auf den Kopf abbekommen hatte, für mich sprach und behauptete, Per hätte den Hebel überspannt, fraß sich meine Schuld dennoch in die Köpfe meiner Mitmenschen – wie ein Geruch, der einem anhaftete und sich nicht abwaschen ließ. Ich nahm an, Jonnef fühlte sich ebenso schlecht wie ich, immerhin hatte er mir erlaubt, das Vectioletus zu reparieren.
    Ich hatte nie zuvor in meinem Leben getrunken, aber in den letzten Wochen des Winters drang ich mehr als einmal in die Vorratskammern ein, um Schnaps zu stehlen. Das Zimmer verließ ich kaum noch, meine Arme waren ein mit Narben übersätes Meer aus Schuldgefühlen, denn die Rasierklinge, mit der ich mir in die Haut schnitt, wurde mein treuer Begleiter. Arc besuchte mich häufig, er hörte mir zu und gab mir Ratschläge, was mich am Ende noch trauriger machte, denn mir wurde wieder einmal bewusst, dass ich eine Maschine meinen einzigen Freund wähnte. Was mich am meisten schockierte, war nicht etwa die Tatsache, dass Per auf der Krankenstation lag, sondern mein persönliches Versagen. Ich – oder Norrizz – hatte das Vectioletus nicht fachmännisch repariert, und ich hasste es, wenn Verfehlungen auf mich zurückfielen.
    Mehr und mehr fühlte ich mich wie ein gefühlskaltes Monstrum. Vater drängte mich oft, Per auf der Krankenstation zu besuchen, doch alles in mir sträubte sich dagegen. Er war mir egal. Ich lag oft nächtelang wach, dachte darüber nach, ob es mich ebenso kaltgelassen hätte, wenn er gestorben wäre. Die Antwort versetzte mir ein ums andere Mal einen Schock: Ja, es wäre mir egal gewesen. Ich grübelte stundenlang über die Ursachen meiner sozialen Inkompetenz nach, doch der einzige Schluss, zu dem ich kam, war der einer vermasselten Kindheit, die ich in Isolation verbracht hatte.
    Breanor, ein fairer und gerechtigkeitsliebender Mann, gab sich alle Mühe, mich nach meinem Freispruch ebenso zu behandeln wie vor dem Vorfall, doch ich spürte, dass auch er mir insgeheim die Schuld gab. Ich mied Begegnungen mit ihm, wann immer es möglich war. Er respektierte meinen Wunsch und ließ mich meist allein in meinem Zimmer.
    Im Übrigen löste der Leichenfund auf dem Schrottplatz eine Welle der Entrüstung unter den Alven aus. Ein Hafenarbeiter hatte den leblosen Körper wenige Tage nach mir gefunden. Es war mir recht, dass der Vorfall die Weiße Liga eine Weile beschäftigte, denn es ermöglichte mir, wie ein Schatten im Perlenturm zu leben.
    Wenige Tage nach der ersten fand man eine weitere Leiche, diesmal die eines wohlhabenden Alven im Nordviertel. Man weihte mich nicht in die Details ein, was mir sehr gelegen kam. Ich hatte genug mit

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