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Fyn - Erben des Lichts

Fyn - Erben des Lichts

Titel: Fyn - Erben des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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über das Gesicht. Durch das Fenster der Kutsche fiel fahles Dämmerlicht, der Morgen graute.
    Ich streckte mich und gähnte herzhaft. Ylenia saß kerzengerade vor mir auf der gegenüberliegenden Sitzbank, in ihren Augen funkelte Tatendrang. Sie hatte ihr Haar aufgesteckt und den Hut gerichtet.
    Einen Herzschlag später riss Mr. Beaver die Tür zum Fahrgastraum auf. Frische kühle Luft schlug mir entgegen und weckte meine Lebensgeister. Er reichte Ylenia eine Hand und half ihr beim Aussteigen, ich folgte ihr auf dem Fuß. Wir hatten am Rand einer wenig befahrenen Zufahrtsstraße nach Elvar angehalten. Ärmliche Bauernhäuser, Gemüsegärten und Viehställe kennzeichneten das Landschaftsbild.
    »Weshalb haben Sie nicht die Hauptstraße benutzt?«, fragte ich. »Dies ist ein Umweg.«
    Beaver schnaubte und schüttelte den Kopf. »Keine zehn Pferde könnten mich dazu bewegen, die Straße des Königs zu benutzen.« Zur Demonstration seiner Respektlosigkeit spuckte er neben sich aus. »Unsere Kutschenvermietung hat hohe Einbußen hinnehmen müssen, seit wir nicht mehr in die Hauptstadt fahren, aber das ist mir allemal lieber, als irgendwo aufgeschlitzt im Straßengraben zu liegen.«
    Er öffnete die Gepäckklappe am hinteren Teil der Kutsche und zog Ylenias Tasche heraus, die er neben sich auf den Boden stellte. »Ich fahre jetzt zurück«, sagte er. »Ich kann den Gestank der Stadt bis hierher riechen.« Er nickte Ylenia zu. »Ma’am.«
    Ylenia lächelte verkniffen. Von mir verabschiedete sich Beaver nicht. Ich fragte mich, ob er bemerkt hatte, dass ich Alve war. Meist trug ich das Haar lang und offen, sodass es mir über die spitz zulaufenden Ohren fiel und man mir meine Abstammung nicht auf Anhieb ansah. Meine außergewöhnlich dunkle Haarfarbe kam mir durchaus gelegen, auch wenn man mir oft gesagt hatte, meine feinen Gesichtszüge würden mich als Alven erkennbar machen. Ich wischte den Gedanken beiseite. Wen interessierte schon, was ein Kutscher aus einem Provinznest von mir dachte? Er hatte mich zurück nach Hause gebracht, und das war das Einzige, das zählte.
    Mr. Beaver kletterte auf den Kutschbock, ließ die Peitschen knallen und wendete das Gefährt. Sekunden später verschwand er hinter einer Straßenbiegung.
    Ylenia klatschte in die Hände. »Nun, den größten Teil der Strecke haben wir hinter uns gebracht. Ist es noch weit bis zum Königspalast?« Ihre Stimme klang heiter, wenn nicht sogar euphorisch.
    Mein Blick glitt zu einem der Bauernhäuser, in dessen Vorgarten ein älterer Mann hockte und Unkraut jätete. Er hielt in seiner Arbeit inne und betrachtete mit skeptischen Blicken die akkurat gekleidete Dame, die nur Augenblicke zuvor aus einer Mietkutsche gestiegen war. Anscheinend kamen Reisende nicht allzu häufig über diese Route nach Elvar.
    »Du solltest nicht so laut von unserem Ziel sprechen«, zischte ich Ylenia an. »Elvar ist eine gefährliche Stadt, und seit Beginn der Unruhen ist es nicht gerade besser geworden. Wir können froh sein, wenn wir es bis zum Perlenturm schaffen, ohne überfallen zu werden.«
    Ylenias Wangen liefen rot an, ob vor Scham oder Wut über meine Zurechtweisung vermochte ich nicht zu sagen. Sie griff beherzt nach ihrer Tasche und wandte sich von mir ab. Ich hielt sie am Arm zurück. »Ich werde das Gepäck von jetzt an tragen. In Elvar ist man mit der Emanzipation noch nicht so weit wie du.« Es war nur ein Vorwand, um mir zu beweisen, dass ich kein Schwächling war. Ich hatte das Wort Emanzipation noch nie gehört, bevor Ylenia es erwähnte. Freilich wusste ich nicht, wie man es außerhalb der Palastmauern damit hielt. Doch ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass Vater mich dabei sehen könnte, wie ich eine zierliche Dame eine schwere Tasche tragen ließ. Allein der Gedanke an seinen missfälligen Blick versetzte mir einen Stich.
    Ylenia drehte sich zu mir um und zog die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, du bist noch zu schwach, um die Tasche zu tragen. Außerdem steckt dein Arm noch immer in der Schlinge, obwohl Jonah schon vor über einer Woche gesagt hat, er sei wieder zu gebrauchen.« Ihr Blick wanderte von meinem Scheitel zu den Sohlen und wieder zurück. Dabei gab sie sich keine Mühe, ihren Spott zu verbergen.
    Trotz stieg in mir auf. Mit einem Ruck, harscher als nötig, zerrte ich mir die Schlinge vom Hals und warf sie mit Nachdruck in ein Gebüsch. Es trieb mich zum Wahnsinn, wenn mir jemand meine Schwächen vor Augen führte. Ich riss Ylenia die Tasche

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