Fyn - Erben des Lichts
seinem Sinn für Kitsch zur Ehre gereicht. Ich machte mir nicht viel Hoffnung, dass Ylenia es schaffen würde, uns eine Freifahrt zu organisieren. Aber vielleicht irrte ich mich auch. Sie konnte sehr überzeugend sein. Fast erinnerte sie mich an einen Offizier. Sie verlangte viel, wich nie von ihrem Standpunkt ab und bekam auch meist, was sie wollte. Ich wandte den Kopf und beobachtete, wie sie die Tür öffnete und im Inneren des Hauses verschwand. Sie hatte etwas Erhabenes an sich, etwas, das einer Kammerzofe nicht gebührte. Vielleicht pflegte sie auch nur eine Fassade, die sie um sich herum erbaut hatte. Was musste eine junge Frau erlebt haben, um sich ein derart dickes Fell zuzulegen?
Ich betastete meinen Arm, der noch immer in seiner Schlinge hing und wie ein nutzloses Anhängsel meinen Körper beschwerte. Ylenia hatte mir bereits vor einer Woche gesagt, ich könnte die Schlinge abnehmen, weil mein Arm wieder funktionstüchtig sei, aber bisher hatte ich es nicht gewagt, ihn zu bewegen. Ich hob ihn vorsichtig mit der anderen Hand an und versuchte, ihn durch Muskelkraft in der Luft zu halten. Der erwartete stechende Schmerz blieb aus. Ich wurde wagemutiger und streckte das Ellenbogengelenk durch. Es strengte mich an, tat aber nicht weh. Trotzdem platzierte ich den Arm wieder in seiner Schlinge.
Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür zur Kutschenvermietung und Ylenia trat zurück auf den Hof. Sie kam mit einem siegessicheren Lächeln auf mich zu. Ich erhob mich ächzend vom Boden. Sie öffnete das Tor und wies mich mit einer Geste an, einzutreten.
»Wir sollen hier warten«, sagte sie. »Einer der Kutscher ist noch unterwegs, müsste aber bald zurück sein.«
»Heißt das, du hast uns tatsächlich eine Fahrt erbetteln können?«
Ylenia blies die Wangen auf. » Erbetteln . Das klingt so … unfein. Nein, ich habe sie überzeugt .«
»Wovon? Dass du die unbekannte Tochter des Königs bist?« Ich legte mit Absicht ein wenig mehr Sarkasmus als nötig in meine Stimme. Aus irgendeinem Grund neidete ich ihr ihre grenzenlose Unverschämtheit, mit der sie immerzu bekam, wonach sie verlangte.
»Ich habe es dir doch bereits gesagt. Man kennt mich und meine Herrin hier.« Sie warf den Kopf in den Nacken, sodass ihre braunen Locken in einem weiten Bogen durch die Luft flogen. »Du bist ein Pessimist. Kein Wunder, dass man dir auf den Schädel geschlagen und dich überwältigt hat. Hast du schon einmal etwas von der selbsterfüllenden Prophezeiung gehört?«
»Was soll denn das schon wieder sein? Ich glaube nicht an den esoterischen Hokuspokus, mit dem du ständig ankommst.« Ich hätte gern die Arme schwungvoll und mit Nachdruck vor der Brust verschränkt, aber da der rechte noch immer in der Schlinge hing, begnügte ich mich mit dem Vorschieben der Unterlippe als Zeichen der Ablehnung.
Auf Ylenias Wangen bildeten sich rote Flecke und sie verbrannte mich mit einem Blick, der selbst Myrius das Fürchten gelehrt hätte. »Esoterischer Hokuspokus? Wenn du von den Schutzamuletten sprichst, mein Freund, dann sei froh, dass ich welche habe! Oder was glaubst du, weshalb wir ungeschoren bis hierher gekommen sind?«
Ich wünschte, sie würde ein wenig leiser sprechen, denn sicherlich hatten die Beschäftigten des Mietstalls längst etwas von unserer Unterhaltung mitbekommen. Ich hielt es für unklug, allzu offenkundig verlauten zu lassen, dass wir uns auf der Flucht befanden. Zudem schämte ich mich für Ylenia. Zum Glück kannte mich in Brysben niemand.
Ich warf einen kurzen Blick nach links und rechts, doch niemand schien uns zu beobachten. Ylenia deutete meine Schweigsamkeit anscheinend als persönlichen Triumph, denn sie straffte die Schultern und setzte noch einmal nach. »Außerdem hat eine selbsterfüllende Prophezeiung nichts mit Hokuspokus zu tun. Sie besagt lediglich, dass du dein Schicksal selbst heraufbeschwörst.« Sie musterte mich kritisch, als hätte sie mich heute zum ersten Mal gesehen. » Du als Alve gibst dich natürlich nur mit echtem Hokuspokus ab, wie? Für dich ist Magie bestimmt eine Selbstverständlichkeit. Aber deine Zauberei hat dich auch nicht vor dem Kerker bewahrt.«
Ich biss mir auf die Zunge, um dieser Diskussion keinen weiteren Zündstoff zu liefern, dabei hätte ich ihr am liebsten ihre klischeebehafteten Ansichten ausgetrieben. Dass ich – abgesehen von der kurzfristigen Wiederbelebung von totem Viehzeug – keinerlei Magie wirken konnte, brauchte sie nicht zu wissen.
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