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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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Pfeiffer kann die Leute um sich scharren wie kaum ein anderer. Tagtäglich kamen mehr, um ihn sprechen zu hören. Nach der Messe stellte er sich sogar auf den Bierausruferstein und predigte gegen die katholische Geistlichkeit. Die Menschen hörten ihm begeistert zu, denn auch das Verhältnis zwischen Kirche und Bürgern ist angespannt. Bedenke, wir unterstehen nicht nur den weltlichen Gerichten, sondern auch den geistlichen, und Kirchenstrafen sind hart, mein Freund. als jemand kam und öffentlich diese Gerichtsbarkeit anprangerte, jubelten ihm alle zu.«

    »Nicht nur in Mühlhausen!«, fügte Hauser hinzu und blickte seinen Freund vielsagend an.
    »Ja, das ist wahr. Viele sehen die Mitglieder der Orden als lästige Mitbewohner der Stadt, die uns das Brot schmälern. auf einen Mann wie Pfeiffer haben die Leute gewartet.«
    »Du nicht?«, fragte Hauser, der sich an den verblüfften Blick seines Freundes am Morgen erinnerte, als er erwähnte, dass er sich Pfeiffer und Müntzer anschließen wolle.
    Erneut trank der Bader einen Schluck, bevor er antwortete: »Ich muss gestehen, dass auch ich mit der unumschränkten Herrschaft des Rates unzufrieden bin. Die, die reich sind, mehren ihr Vermögen, und die, die arm sind, werden arm bleiben. Seit letztem Jahr brodelt es in Mühlhausen. Die Menschen sind unzufrieden, und da kommt ein Schwarmgeist wie der Pfeiffer gerade recht. Ich halte Müntzer im Gegensatz zu Pfeiffer für fähiger, etwas zu verändern. Meiner Meinung nach ist Müntzer ihm überlegen, da er gebildeter ist. Er war Pfarrer in allstedt, besitzt eine hervorragende Redegabe und spricht gelehrt. Und trotzdem hat er nur geringes ansehen. Bei beiden stört mich aber, dass sie starrköpfig, ja fast besessen von ihren ansichten sind. Im Grunde sind sie nur anhänger Luthers, seine Gefolgsleute, aber keine anführer des Luthertums.«
    Hauser hatte ungeduldig zugehört und warf nun ein: »Luther ist weich! Er redet nur und verändert nichts. Er ist ›Bruder Mastschwein‹, wie Müntzer einmal sagte.«
    »Luther hat Müntzer aber sogar mal eine anstellung besorgt«, trumpfte der Bader auf.
    »Ach, und das zeichnet Luther aus? Im Gegensatz zu ihm ist Müntzer erfasst vom Heiligen Geist, Gabriel! Was er sagt, ist der Wille Gottes, den ihm der Heilige Geist offenbart hat. Luthers Predigen von der Wichtigkeit der Bibel sind hingegen irreführend.« Hauser hatte sich in Rage geredet und nahm einen kräftigen Schluck Bier.

    Die Blicke der Burschen wanderten zwischen den Männern hin und her. Gespannt warteten sie nun, was der Bader dazu zu sagen hätte.
    »Ach Jacob! Wir beide wissen, dass Müntzer die Bibel missachtet. Der Christ aber erklärt sich über den Glauben an die Schrift.«
    »Red keinen Unsinn, Gabriel! Ohne den Geist Gottes ist die Bibel nicht zu verstehen.«
    »Nein, du redest Unsinn, mein Freund! Das Christentum braucht die Kirche, und die Kirche braucht Ordnung. Und die kommt nicht vom Heiligen Geist.«
    »Blödsinn! Müntzer ist der Prophet, der die neue Ordnung bringt. Die alte Papstkirche und die Fürsten haben versagt.«
    »Städte und adel müssen die Neuerung aber mittragen.«
    So ging es hin und her, und die beiden Männer saßen sich wie Streithähne gegenüber. »Du wirst mich nicht überzeugen können, Jacob!«, beendete der Bader schließlich den Wortwechsel.
    »Das werden wir sehen!«, entgegnete Hauser und zwinkerte ihm versöhnlich zu.

    Matthias hatte versucht, aufmerksam zuzuhören, doch allmählich schwand sein Interesse an Luther und Müntzer. Seine Gedanken schweiften zu annabelle, und ein Gefühl der Vorfreude überkam ihn.
    Als Johannes nur noch gähnte und Michael kaum mehr die augen aufhalten konnte, verabschiedeten sich die vier Burschen von den beiden Männern und verließen das Gasthaus.
    Vor der Tür empfing sie klirrende Kälte. Ohne viele Worte ging jeder seines Weges.
    Je näher Matthias dem Haus des Baders kam, desto heißer wurde ihm. am Eingangsportal spähte er in die Dunkelheit, um zu sehen, ob der Hausherr schon in Sicht war. ›Hoffentlich
unterhalten sich Hauser und der Bader noch eine Weile‹, wünschte sich Matthias, während er leise die Tür öffnete und ins Haus schlüpfte.
    Hastig stieg er die Treppe zu annabelles Dachkammer hinauf und klopfte vorsichtig an. als er ihre zarte Stimme hörte, drückte er die Türklinke hinunter und trat ein.
    Durch die kleine Luke im Dach fiel nur wenig Licht. als Matthias’ augen sich daran gewöhnt hatten, konnte er erkennen,

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