Gabe der Jungfrau
erhellte anna Marias Kammer, als sei es Tag. anna Maria lag wach und konnte keinen Schlaf finden. aber nicht nur das Licht störte sie, auch Lena, die Magd, die mit ihr ein Bett teilte, hielt sie wach. Lena
schnarchte wie ein Mann, und selbst wenn anna Maria sich die Ohren zuhielt, konnte sie das Sägen noch hören. Genervt rutschte sie an den äußersten Rand des Betts und zog sich die Decke übers Gesicht. Doch statt müde zu werden wurde anna Maria wieder munter, und obwohl sie ihre Kleidung nicht ausgezogen hatte, fror sie unter der Bettdecke. auch juckte ihre Haut am ganzen Körper.
»Sobald es Frühling ist, werde ich das Heu in der Matratze auswechseln lassen«, schimpfte sie leise und kratzte sich an armen und Beinen. Immer wieder hauchte sie ihren atem unter die Decke, doch auch das wärmte sie nicht.
›Meine Brüder haben es gut‹, dachte das Mädchen grollend, ›sie halten sich gegenseitig warm und müssen nicht neben einem schnarchenden Ungeheuer liegen!‹
Unruhig drehte sich anna Maria von einer Seite auf die andere. Um sich abzulenken zählte sie leise alle Menschen auf, die sie kannte, und schlief endlich darüber ein.
Wenig später spürte anna Maria, wie sich die feinen Härchen an ihren Beinen aufstellten. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper und ließ sie erschauern. Sie hatte das Gefühl, als krabbele unter ihrer Bettdecke etwas an ihr hoch, als würde ihr Bauch zusammengedrückt und ihr die Luft aus dem Körper gequetscht. anna Maria schrie aus Leibeskräften nach Lena, doch die Magd schien den Schrei nicht zu hören, denn sie grunzte zufrieden und drehte ihr weiter den Rücken zu. Das Mädchen schrie sich die Seele aus dem Leib. Doch niemand hörte seine Schreie, niemand kam ihm zu Hilfe.
Als anna Maria erwachte, sah sie sofort unter der Bettdecke nach. Doch da war nichts! auch an ihrem Körper konnte sie nichts Besonderes erkennen. »Ich habe nur geträumt«, murmelte sie erleichtert.
»Was hast du geträumt?«, fragte die Magd gähnend.
»Dass jemand unter meiner Bettdecke war und mir die Luft aus den Rippen quetschen wollte.«
Langsam setzte sich Lena im Bett auf und flüsterte entsetzt: »Jesus und Maria! Erzähl mir genau, was du geträumt hast!«
Anna Maria tat wie ihr geheißen, und als sie geendet hatte, starrte Lena sie völlig entgeistert an.
»Das war kein Traum!«, sagte sie leise. »Ein Nachtschreck hat dich heimgesucht.«
»Dummes Zeug! Ich habe geträumt«, antwortete anna Maria, musste aber doch schlucken.
»Glaube mir, Kind! Ein alb wollte von dir Besitz ergreifen, und er wird dich wieder aufsuchen, das weiß ich!«
Mit bleichem Gesicht zog anna Maria die Bettdecke bis zum Kinn. »Was soll ich machen, wenn er wiederkommt?«, fragte sie mit weinerlicher Stimme und kroch dicht an die Magd heran. Lena umarmte das Mädchen und wog sie wie ein Kleinkind hin und her.
»Sobald du spürst, dass ein Kälteschauer deinen Körper überläuft, musst du folgende Worte dreimal hintereinander sprechen: Ich hab dich erkannt, du bist gebannt! Sprich es mir nach!«
Mit zitternder Stimme krächzte anna Maria die Formel nach.
»Ich werde außerdem die Erzengel Gabriel und Michael bitten, dass sie über dich wachen, dass sie ihre Flügel über dich ausbreiten und dich beschützen.«
»Meinst du, dass die Erzengel das tun werden?«
Lena gab dem verstörten Mädchen einen Kuss auf die Stirn.
»Ja, mein Kind, davon bin ich überzeugt! Jetzt komm, es wird Zeit, dass wir das Frühstück zubereiten.«
Tagelang fürchtete anna Maria die Schlafenszeit und ging erst zu Bett, wenn Lena schlafen ging. als in den folgenden Tagen
und Wochen nichts weiter geschah, vergaß sie den fürchterlichen Traum aber wieder.
Mittlerweile war es anfang März, und noch immer umklammerte die klirrende Kälte das Land. Der Himmel war mit dichten grauen Wolken überzogen, die weitere Schneefälle prophezeiten, und die Sonne ließ sich nur selten blicken.
Jeder auf dem Hof versuchte schnellstmöglich seine arbeit zu verrichten, um dann in die warme Küche flüchten zu können. Während die Knechte im Stall das Vieh fütterten und tränkten, melkten die Mägde die Kühe. Jakob und Matthias halfen beim Misten, und selbst Nikolaus musste mit anpacken. Seit den frühen Morgenstunden mahlte anna Maria ununterbrochen Roggenkörner zu Mehl, aus dem die Bäuerin und zwei Mägde Brot backten. Nur Hofmeister ließ sich bis zu den Essenszeiten nicht sehen, verbrachte viel Zeit in seiner Schlafkammer,
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