Gabe der Jungfrau
Beine hoch, sodass sie voller angst zu keuchen begann. Sie schaffte es nicht, die augen zu öffnen. Unruhig wälzte sie sich im Bett hin und her, als plötzlich etwas ihre Bauchdecke zusammenpresste und bis zu ihrem Rippenbogen wanderte. Voller Grausen schrie sie in Gedanken dreimal: ›Ich hab dich erkannt, du bist gebannt!‹, und flehte die Erzengel herbei.
Kurz darauf war der Spuk vorbei. anna Maria spürte, wie ihr rasendes Herz sich beruhigte, ihr Körper schwer wurde und sie in einen tiefen traumlosen Schlaf fiel. Doch plötzlich gab es einen Knall wie bei einem Donnerschlag, und sie glaubte zu erwachen. Nur schwach erhellte die Mondsichel die Kammer. Zaghaft setzte sie sich auf, um unter die Bettdecke zu schauen, als sie eines weiteren Menschen im Raum gewahr wurde. Erschreckt
stieß anna Maria einen spitzen Schrei aus. Das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie sich zu Lena drehte. Doch die Magd schnarchte leise vor sich hin und schien die Schreie des Mädchens nicht zu hören.
Während anna Maria nun ihren Blick durch den Raum wandern ließ, betete sie leise: »Bitte, bitte lieber Gott, mach, dass ich aus diesem bösen Traum erwache!« Sie wagte kaum zu atmen noch sich zu bewegen.
Da war noch immer jemand! Langsam, Schritt für Schritt, kam die Person näher, und als anna Maria sie im fahlen Licht des Mondes schließlich erkannte, stöhnte sie erleichtert auf.
»Tante Kätsche, hast du mich erschreckt! Was machst du in meiner Kammer? Wie kommst du hierher? Draußen ist es bitterkalt, und du trägst nur ein dünnes Hemd.«
Am Fußende von anna Marias Bett blieb Kätsche stehen und sagte mit schwacher Stimme: »Es ist Zeit, dass ich gehe.«
»Wohin willst du gehen, Kätsche?«
»Mein Verlobter ruft. Mir ist so kalt!«
»Rede keinen Unsinn, und komm ins Bett. Für dich ist noch Platz«, forderte anna Maria die dürre alte auf und schlug die Bettdecke zurück. Doch die Tante blieb am Fußende stehen.
»Jetzt komm ins Bett!«
Als sie erneut nicht antwortete, legte anna Maria die Decke über sich und sagte zornig: »Wenn du es dir anders überlegt hast, dann kannst du dich hinter mich legen. Ich will jetzt schlafen! Ich bin müde!« Das Mädchen gähnte herzhaft, kuschelte sich dichter an den warmen Körper der Magd und drehte der alten Frau den Rücken zu.
Nur kurz schielte anna Maria über die Schulter zurück und sah, wie die Tante vor dem Fenster stand. Leise murmelte die Frau: »Es ist so kalt!«
Mürrisch zog anna Maria sich die Decke bis zum Kinn. Erst dieser Traum und nun die Tante! Sie wollte endlich schlafen!
Sie kugelte sich wie ein Kleinkind zusammen und fiel bald in einen traumlosen Schlaf.
Als anna Maria erwachte, spürte sie sofort, dass sie allein im Bett lag. Suchend sah sie sich im Zimmer um, aber da war niemand. ›Sicher ist Lena schon mit Tante Kätsche in der Küche‹, dachte sie und zog sich ihre Kleider über.
Wohlige Wärme umfing anna Maria, als sie die Küche betrat. Ihre Mutter, der kleine Nikolaus sowie Lena saßen am Tisch um eine Schüssel mit warmen Bier und tunkten darin Brotstücke ein.
»Wo ist Tante Kätsche?«, fragte anna Maria und setzte sich dazu. Sie nahm sich einen Kanten Brot und schwenkte ihn in dem Gerstensaft, bis er sich vollgesogen hatte. Genüsslich biss sie hinein.
Fragend schaute die Mutter sie an. »Warum sollte das Kätsche bei uns sein?«
»Die Tante war letzte Nacht in meiner Kammer und hat bei mir im Bett geschlafen.«
»Was?«, fragte Lena erstaunt. »Ich habe nicht bemerkt, dass die alte da gewesen wäre. Bist du sicher?«
Anna Maria nickte. »Ja, natürlich war sie da. Ich habe doch mit ihr gesprochen, nur du hast seelenruhig geschlafen! Selbst, als der alb wieder unter meine Decke kroch, und ich nach dir geschrien habe, bist du nicht wach geworden.«
Vor Schreck ließ die Magd ihr Brot fallen, das vollgesogen im Bier versank.
»Jesus und Maria! Ich habe es wieder nicht bemerkt. Hast du meine Formel gesagt und zu den Erzengeln gebetet?«
»Ja! alles, was du mir geraten hast, habe ich gemacht, und es hat geholfen. Der Nachtschreck war plötzlich verschwunden, und dann stand die Tante im Raum.«
Nikolaus sah ängstlich zu seiner Mutter, der ebenfalls die Farbe aus dem Gesicht gewichen war.
»Nikolaus, geh raus! Das ist nichts für deine Ohren! Ich rufe dich, wenn du wieder hereinkommen kannst.«
Verstört stand der Sechsjährige auf, und als die Magd etwas sagen wollte, hielt er sich die Ohren zu und verließ eilends die
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