Gabe der Jungfrau
sie an diesem Morgen aufgewacht und hatte sofort den Schmerz gespürt, der hinter ihrer Stirn pochte.
Nur mühsam konnte anna Maria sich aufraffen weiterzugehen. Bei jedem Schritt zuckte sie zusammen, da die Kopfschmerzen immer schlimmer wurden. Zudem quälten sie ihre Gedanken: Sollte ihr Talent wirklich fauler Zauber sein? War ihr Traum von dem Schicksal ihrer Brüder nur ein Trugbild, entstanden aus ihrer angst heraus?
Anna Marias Wangen glühten. Erschöpft ließ sie sich an einer Quelle nieder und kühlte ihr Gesicht. Obwohl ihr Magen knurrte, verspürte sie keinen Hunger.
›Für heute sollte ich mir einen geschützten Platz suchen. Es sieht nach Regen aus‹, dachte das Mädchen, als es durch die Baumwipfel den Himmel erkennen konnte.
Nach langem Suchen fand anna Maria eine Kiefer, deren Zweige dicht über ihrem Kopf ein schützendes Dach bildeten.
Wie jeden abend, dankte sie auch heute im Gebet dem Vater für den dicht gewebten Pilgerumhang. Schützte er sie tagsüber vor Dornen und niederem Gestrüpp, so wickelte sie sich nachts darin ein und spürte die aufkommende Kälte kaum. Den Pilgerstab legte sie griffbereit neben sich. Bereits in der ersten Nacht hatte sie damit einen Luchs in die Flucht schlagen können.
Obwohl sie keinen großen Hunger hatte, aß anna Maria von dem letzten Stück Brot, das ihr geblieben war. Morgen würde
sie sich neues beschaffen müssen, und das hieß, dass sie den Schutz des Waldes verlassen musste.
Vorsichtig kaute sie auf dem trockenen Kanten. Langsam ließ der Schmerz in ihrem Kopf nach, doch die Gedanken blieben. Warum glaubten andere, dass ihr Talent fauler Zauber sei?
Jetzt erst erkannte anna Maria, wie weise ihr Vater ihr damals geraten hatte. Kein Fremder dürfe je von ihrer Fähigkeit erfahren, hatte er sie gewarnt. Doch mit dreizehn Jahren hatte sie seinen Ratschlag nicht verstehen können.
Mehlbach 1521
Das neue Jahr war bereits einige Wochen alt, und der Winter hielt das Land fest im Griff. Das Wasser in den Bächen war zu Eis erstarrt, und Felder und Wiesen waren unter einer dicken, verharschten Schneeschicht vergraben.
Durch die Kälte gefror der atem und klebte die Barthaare der Knechte zu kleinen Eisklumpen zusammen. Die Luft war so eisig, dass ihnen sogar die Nasenspitzen abzufrieren drohten. Um sich zu schützen, schmierten sie ihre Nasen dick mit kostbarem Schweineschmalz ein. Die Füße wärmten sie, indem sie die Schuhe mit Stroh umwickelten, das außerdem verhinderte, dass man im glatten Hof ausrutschte.
Jeder Dorfbewohner von Mehlbach, Katzweiler und Schallodenbach, der einen Hof besaß, hatte anrecht an der allmende. Im Frühjahr bei der Versammlung der Berechtigten war entschieden worden, wie viel Brennholz jeder schlagen durfte, damit es im Winter ausreichte. Doch dieser Winter war besonders kalt, und so musste mit dem Brennholz sparsam umgegangen werden.
Weil Daniel Hofmeister mehr als eine Kuh und ein Schwein besaß, hatte er einen vom Wohnhaus abgetrennten Viehstall.
Das schindete zwar Eindruck, doch in dieser Kälte zeigte es sich als undienlich, da selbst ein Schwein den Wohnraum zusätzlich erwärmte.
Weise vorausdenkend hatte Hofmeister im Sommer veranlasst, dass alle undichten Stellen und jede noch so kleine Ritze in den Hauswänden mit Lehm und Stroh abgedichtet wurden. Trotzdem fand der eisige Wind einen Weg ins Haus, und nicht jede Kammer konnte geheizt werden.
Der einzige Raum, in dem ständig ein Feuer brannte, war die Küche. Nur an den seltenen Festtagen und manchmal sonntags feuerte man auch den Ofen in der Stube an, denn Hofmeister achtete streng auf den Verbrauch des Feuerholzes. Erst recht seit die alten prophezeit hatten, dass die eisige Kälte bis in den Frühling hinein andauern würde.
Während der grimmigen Winterzeit ruhte zwar die meiste Hofarbeit, doch tagtäglich musste das Vieh versorgt werden. Um die Tiere tränken zu können, schlugen die Männer Eisklumpen aus dem zugefrorenen Bach, die nachts in Trögen zum auftauen in die warme Küche gestellt wurden.
Sobald die wenige arbeit erledigt war, saß man zusammengedrängt um den Herd, wo die Mägde ihre Zeit mit Nähen und Kochen und die Knechte mit dem ausbessern der arbeitsgeräte verbrachten. an manchen Wochenenden wurde vergnüglich musiziert und ausgelassen getanzt. Doch kaum war es dunkel, flüchtete jeder in seine Kammer und verkroch sich unter die wärmende Bettdecke in seiner Schlafnische.
Der Vollmond schien durch alle Ritzen und
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