Gabe der Jungfrau
Küche. Erst auf dem Gang nahm er die Hände von den Ohren und setzte sich auf die unterste Treppenstufe. Das sah der Vater, der gerade aus der Schlafstube nach unten kam.
»Warum hältst du dir die Ohren zu? Hast du etwas ausgefressen?«
Erschrocken schüttelte der Knabe den Kopf. »Nein, Vater, ich habe nichts angestellt. aber anna Maria …«
Weiter kam er nicht, denn der Vater betrat die Küche, wo die drei Frauen aufgebracht durcheinandersprachen. Hofmeister verstand kein Wort und brüllte, dass sie Ruhe geben sollten. Erst jetzt bemerkten die Frauen den Bauern und schwiegen erschrocken.
»Was ist das für ein Lärm am frühen Morgen? Und warum hält sich der Junge die Ohren zu?«
Herausfordernd sah er seine Frau an. anna Maria und die Magd blickten zu Boden.
»Lena behauptet, dass ein Nachtschreck anna Maria aufgesucht habe, ich aber sage, dass das Mädchen geträumt hat, genauso wie …« Elisabeth geriet ins Stocken.
»Sprich weiter! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, mir eure Einbildungen anzuhören. Was hat anna Maria angestellt?« Zornig funkelte Hofmeister seine Tochter an. »Nein!«, sagte Elisabeth rasch. »Sie hat nichts angestellt. Sie glaubt nur, dass Tante Käthe heute Nacht in ihrer Kammer gewesen sei, aber Lena hat nichts bemerkt und nichts gesehen.«
Hofmeister kniff die augen zusammen und betrachtete anna Maria, forschte in ihrem Gesicht.
»Setz dich und sprich!«, forderte er sie auf, während er ihr
gegenüber Platz nahm. »Und du«, wandte er sich barsch an die Magd, »schlägst mir zwei Eier in die Pfanne.«
Zaghaft erzählte anna Maria zuerst von dem alb und dann von dem Ereignis der letzten Nacht. Während der Bauer sein Frühstück löffelte, sah er kaum auf und schien unbeeindruckt zuzuhören.
Als anna Maria geendet hatte, wischte der Vater mit dem letzten Bissen Brot einen Tropfen Eigelb auf und trank das erkaltete Bier aus der Schüssel.
Drei augenpaare blickten ihn erwartungsvoll an.
»Nikolaus!«, rief er in Richtung Küchentür. Kurz darauf erschien sein jüngster Sohn.
»Sag deinen Brüdern Peter und Jakob, dass sie nach der Käthe sehen sollen. Sofort! Einerlei welche arbeit sie gerade verrichten. Und sie sollen mir rasch Bescheid geben!«
Die Mutter reichte dem Jungen einen Laib Brot.
»Hier! Den sollen sie der Tante mitnehmen.« Hofmeister wollte etwas einwenden, schwieg jedoch.
»Bis die Burschen zurück sind, verrichtet jeder wie gewohnt seine arbeit!«, befahl er und verließ die Küche.
Es war bereits kurz vor Mittag, als Jakob und Peter durchgefroren zurückkamen. Ihre Lippen waren blau verfärbt und ihre Wangen feuerrot. Zähneklappernd knieten sie sich vor den Herd und wärmten ihre Hände über der offenen Feuerstelle.
»Was hat die alte Käthe gesagt?«, wollte die Magd neugierig wissen. Die Burschen sahen sich unsicher an und schwiegen. Erst als der Vater, gefolgt von der Mutter, anna Maria und Nikolaus, die Küche betrat, erhoben sie sich vom Feuerplatz. Nach einem Blick in die Gesichter seiner Söhne befahl er seinem Jüngsten: »Nikolaus, ab auf die Treppe!« Erschrocken zuckte der Junge zusammen und noch bevor er den Raum wieder verließ, hielt er sich die Ohren zu.
Alle sahen Hofmeister erwartungsvoll an. »Legt das Brot auf den Tisch!«, sagte er zu Jakob und Peter, als Nikolaus die Tür hinter sich geschlossen hatte. Ungläubig sah der Älteste zum Vater auf und zog den Laib unter seinem Kittel aus dem Hosenbund.
»Die alte ist tot!«, fügte Hofmeister leise hinzu.
Die beiden nickten.
Elisabeth presste die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Lena hingegen kreischte so laut »Jesus Maria, Jesus Maria!«, dass Hofmeister sie unwirsch anfauchte, die Küche zu verlassen. auch Peter und Jakob schickte er vor die Tür.
Aus anna Marias Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie spürte den Blick des Vaters auf sich ruhen. angst stieg in ihr hoch, für den Tod der alten Frau verantwortlich gemacht zu werden. ›Warum bin ich nicht aufgestanden und habe ihr ins Bett geholfen? ‹, klagte sie in Gedanken. ›Warum ist sie bei der Kälte zurück in ihr Haus gegangen? Sicherlich war das ihr Tod.‹
Lautlos liefen dem Mädchen Tränen über die Wangen, als es plötzlich die Hand des Vaters auf dem Scheitel spürte. Zitternd blickte anna Maria auf und sah in seine freundlich blickenden augen. auch die Mutter schien über diese Geste erstaunt zu sein. Weinend schnäuzte sie ihre Nase in die Kleiderschürze und fragte ihren Mann: »Woher hast du
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