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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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Menschen hob. Voller Tatendrang verrichteten sie die liegengebliebenen arbeiten und erwachten langsam – wie die Tiere – aus ihrem Winterschlaf.
     
    Von all dem bekam anna Maria nichts mit. Müde quälte sie sich durch den Tag und hatte bereits am Morgen angst vor der Nacht. Seit sie von ihrer Gabe wusste, scheute sie sich davor, schlafen zu gehen. Sie stand als Erste auf und ging als Letzte zu Bett. Schutzsuchend lag sie dann dicht gedrängt neben Lena und versuchte verzweifelt wach zu bleiben. Mit weit aufgerissenen augen starrte sie in die Dunkelheit und hoffte inständig, dass niemand sterben würde.
    Selbst Lenas Schnarchen war für anna Maria zu einem angenehmen, vertrauten Geräusch geworden, da es sie meist daran hinderte, selbst einzunicken. Geschah es trotzdem, dann fiel sie nur in einen leichten Schlaf, aus dem sie beim leisesten Geräusch oder Lenas kleinster Bewegung hochschreckte und sich verängstigt umblickte.
    Tagsüber schlich anna Maria erschöpft durchs Haus und war kaum fähig, die ihr aufgetragene arbeit ordentlich zu verrichten. Ihre schmale Gestalt und die dunklen Schatten unter ihren augen verrieten, dass es ihr nicht gut ging. Selbst dem Vater fiel das auf, aber er sagte kein Wort. Doch als sie zum zweiten Mal während des Essens einschlief, bestrafte er das Mädchen
mit einem Schlag auf den Hinterkopf. Verhalten fauchte er: »Füge dich deiner Bestimmung!«
    Die Brüder blickten anna Maria mitfühlend an. Sie ahnten, dass etwas mit der Schwester nicht stimmte. Doch sie wagten nicht, sie mit Fragen zu bedrängen. Zwar spürte anna Maria Peters sorgenvollen Blick, bemerkte auch seine Versuche, mit ihr darüber zu sprechen, was sie quälte. Doch sie verstand es, ihm auszuweichen.
     
    Der mangelnde Schlaf zehrte mehr und mehr an anna Marias Kräften. Bleich und hohlwangig saß sie bei der Mutter in der Küche und konnte kaum die augen aufhalten. Sie zitterte, und ihre Haut war eiskalt. Tröstend fuhr die Mutter ihr übers Haar, als das erschöpfte Mädchen bitterlich zu weinen begann. Elisabeth nahm ihre Tochter in den arm und forderte sie sanft auf: »anna Maria, leg dich in dein Bett und versuche zu schlafen.«
    »Nein!«, keuchte das Mädchen »Ich will nicht in mein Bett!« Die Mutter strich der Tochter eine Haarsträhne hinter das Ohr und fragte. »Warum nicht?«
    »Ich habe angst, allein in meinem Bett zu liegen.«
    »Dann leg dich in das Bett deiner Brüder. Vielleicht fühlst du dich in einem anderen Bett wohler. Versuche es, denn du musst endlich schlafen, Kind!«
    »Und der Vater?«, fragte anna Maria ängstlich.
    »Er ist auf den Weg zu deiner Tante nach Schalodenbach, da es ihr nicht gut geht. Der Onkel erzählte, dass die Schmerzen zurückgekommen wären. Dein Vater wird also nicht bemerken, wenn du dich am Tage ausruhst.«
    Dankbar lächelte anna Maria der Mutter zu und ging in die Kammer der Brüder. Kaum hatte sie sich hingelegt, war sie auch schon eingeschlafen.

    Anna Maria hatte traumlos geschlafen, als sie erwachte und sofort spürte, dass sie nicht allein in der Kammer war. Ihr Herz begann zu rasen, denn sie konnte jemanden atmen hören. Nur langsam öffnete sie die augen und schaute in ein freundliches Gesicht.
    »Peter!«, flüsterte sie glücklich.
    »Mutter hat mir alles erzählt, anna Maria! Warum hast du mir nichts davon gesagt?« Ein leichter Vorwurf war aus seiner Stimme herauszuhören. anna Maria setzte sich auf und sah ihn traurig an.
    »Ich musste es dem Vater bei allen Heiligen versprechen.«
    »Trotzdem! Ich bin vor Sorge fast krank geworden.«
    »Was soll ich tun, Peter? Ich habe solche angst, dass wieder jemand stirbt.«
    »Du wirst es nicht verhindern können.«
    »Doch, Peter! Das kann ich, denn seit ich kaum schlafe, ist niemand mehr gestorben.«
    »Ach, Schwesterherz, das ist dummes Zeug! Niemand kann den Tod aufhalten, geschweige denn bezwingen!«
    »Aber was soll ich tun, Peter?«
    »Du musst deine Gabe annehmen, anna Maria! Sie ist nichts, wovor du dich fürchten musst. Gott hat dich auserwählt! Die Sterbenden besuchen dich in deinen Träumen, weil sie dir vertrauen. Du bist der letzte Mensch auf Erden, mit dem sie sprechen wollen, bevor sie in das Himmelreich einfahren. Das ist keine Last, es ist eine Ehre! Ich glaube, dass ich mich über solch eine Gabe freuen würde.«
    Erstaunt über seine Worte, sah sie ihn fragend an.
    »Ja, Schwesterchen! Du musst dich nicht fürchten. Ich bin über deine Gabe glücklich, denn ich weiß, dass du die Letzte

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