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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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gewusst, dass das Kätsche tot ist?«
    Zuerst schwieg Hofmeister, doch dann sagte er leise: »Weil sie sich von anna Maria verabschiedet hat.«
    »Wie meinst du das?«
    Stumm setzte sich Hofmeister auf einen Stuhl an den Tisch und starrte seine Tochter an. Verlegen kratzte anna Maria sich am Hals und wusste nicht, wo sie hinschauen sollte.
    »Setzt euch!«, forderte er seine Frau und das Mädchen auf. als jemand die Küchentür öffnete, schrie er: »Raus!«
    Fragend sahen sich Mutter und Tochter an. Elisabeth wurde
ungeduldig, da sie es war, die die Beerdigung der Tante vorbereiten musste und so keine Zeit mit Rumsitzen vertrödeln konnte.
    Hofmeister fuhr sich durch die Haare und schien nach Worten zu suchen. Dann sagte er an seine Tochter gewandt: »anna Maria, du hast die ›Gabe‹!«
    »Welche Gabe?«, wollte die Mutter wissen.
    Der Bauer zögerte, schien nachzudenken und sagte dann mit fester Stimme: »Die Gabe meiner Mutter!«
    Hofmeister stützte die Ellbogen auf den Tisch und vergrub für einige augenblicke das Gesicht in den Händen.
    »Daniel! Welche Gabe hat anna Maria, und was hat das mit deiner Mutter zu tun?«
    Hofmeister faltete die Hände auf der groben Tischplatte und erklärte: »Meine Mutter hatte die Gabe Menschen, die sie kannte und besonders diejenigen, die ihr nahestanden, vor dem Tod im Traum zu sehen. Sie glaubte, dass diese Menschen sich von ihr verabschieden wollten, bevor sie ins Himmelreich einfuhren.«
    Es herrschte Stille, bis Elisabeth leise wissen wollte: »Und was ist mit denen, die im Fegefeuer schmoren werden?«
    Anna Maria, die keinen Ton hervorbrachte, sah erschrocken zu ihrem Vater auf. Doch der schüttelte den Kopf.
    »Nur die Guten kommen zu ihr.«
    Die Mutter bekreuzigte sich dreimal und dankte dem Herrn, dass ihre Schwester ins Himmelreich einfahren würde.
    Als anna Maria ihre Stimme wiedergefunden hatte, fragte sie den Vater flüsternd: »Werden mich nun jede Nacht die Sterbenden besuchen?«
    »Nein, Kind, nur wenn dieser Mensch eine besondere Verbindung zu dir hatte!«
    »Und deine Mutter hatte ebenfalls diese Gabe?«, wollte Elisabeth wissen. Ihr Mann nickte.
    »Seltsam! Du hast es nie erwähnt, und im Dorf habe ich nie
gehört, dass die alte Hofmeisterin die Fähigkeit gehabt haben soll, Menschen, die ihr nahestanden, vor dem Tod zu sehen.«
    ›Das ist auch nicht verwunderlich, dachte Hofmeister, niemand hier kennt meine wahre Mutter.‹<
    Er wusste, dass er die seltsame Befähigung seiner Mutter weder seiner Frau noch anna Maria verheimlichen durfte, doch um das Geheimnis seiner Vergangenheit zu wahren, erzählte er eine Geschichte, die nur zum Teil stimmte: »Zuerst wollte mein Vater von dieser Gabe nichts wissen. Er unterstellte meiner Mutter, dass sie lüge. als sich jedoch ihre Träume wiederholten und als Wahrheiten herausstellten, verlor er nie wieder ein Wort darüber, und auch meine Mutter schwieg. Doch wir konnten es morgens an ihrem Blick erkennen, wenn sich des Nachts wieder ein Sterbender von ihr verabschiedet hatte.«
    Ängstlich fragte anna Maria: »Werden mir diese Menschen Leid zufügen?«
    »Nein, sie werden dir nichts tun! Du darfst deine Fähigkeit nicht als Strafe, sondern als von Gott gegebene Gabe sehen, die nicht jedem zuteilwird. Trotzdem dürfen wir es niemandem erzählen. Denn wir wissen nicht, wie andere sich verhalten, wenn sie davon erfahren würden. Deshalb, anna Maria, schwöre, dass du keinem jemals davon erzählen wirst. Hast du mich verstanden?« Die Stimme des Vaters hatte ihren freundlichen Klang verloren.
    Nachdem das Mädchen bei allen Heiligen geschworen hatte, dass es sein Geheimnis nie mit jemandem teilen würde, stieß Hofmeister den Stuhl zurück und verließ ohne ein weiteres Wort die Küche. Stumm ergriff Elisabeth die kalte, zitternde Hand ihrer Tochter und drückte sie liebevoll.
    In anna Maria aber kroch angst hoch. Die angst vor der kommenden Nacht, und sie wusste, dass sie nichts dagegen unternehmen konnte.

    Obgleich die grimmige Kälte nachgelassen hatte, war der Frühling noch immer nicht in Sicht. Heftige Regenschauer hatten Wiesen und Äcker in kleine Seen verwandelt, und obwohl die Wasserlachen den Boden an der Oberfläche aufweichten, konnte noch nicht mit der Feldarbeit begonnen werden. Nachts war es immer noch empfindlich kalt, sodass das Wasser auf Wiesen und Feldern zu Eis erstarrte.
    Doch langsam wurden die Tage länger, und hin und wieder zwitscherte sogar ein Vögelchen, was die Stimmung unter den

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