Gabe der Jungfrau
Hofmeister in den besten Jahren seines Lebens stand, fühlte er sich leer und müde und war mit seinem Leben unzufrieden.
Sieben Jahre nach dem missglückten aufstand in Untergrombach hielt er die Enge auf dem Hof in Mehlbach nicht mehr aus und machte sich wieder auf, um angeblich erneut an einer Wallfahrt teilzunehmen. Ohne Murren ließ seine Frau ihn ziehen, spürte sie doch schon lange, dass ihn etwas bedrückte.
Die zweite Pilgerreise führte ihn nicht weiter als nach Lehen im Breisgau. Hier konnte er wieder der sein, der er in seinem Inneren stets geblieben war: Joß Fritz, der Mann, zu dem die Menschen aufblickten, an dessen Lippen sie hingen und dessen Worten sie lauschten.
Eine Frau war besonders von ihm und seiner Schaffenskraft angetan und teilte alsbald sein Bett. Else Schmid konnte er all das erzählen, was er seiner Frau Elisabeth verschweigen musste. Sie verstand und ermunterte ihn, an seinen Plänen festzuhalten. Else und Joß ergänzten sich nicht nur in dem gemeinsamen Drang nach Freiheit, sondern auch im Bett. Er empfand damals mehr Zuneigung für sie als für die Mutter seiner Kinder und so heiratete er Else im Jahr 1510. Er sah nichts Verwerfliches darin, mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein, war er doch für die eine Daniel Hofmeister und für die andere Joß Fritz. Zufrieden und ohne einen Gedanken an Mehlbach zu verschwenden, nahm er die Stelle eines Bannwarts in den Weinbergen an. Und mit großer Klugheit und Geduld bereitete er den Boden für eine neue Bundschuhverschwörung vor. Die Saat, die er ausgelegt hatte, sollte aufgehen, denn drei Jahre später hatte Joß Fritz erneut eine große anhängerschaft um sich geschart. Und
er richtete neue Forderungen an adel und Klerus, darunter das Recht auf freien Fischfang, freie Vogeljagd und auf Nutzung von Wald und Weiden und die abschaffung ungerechtfertigter Steuern und Zölle.
Daniel Hofmeister lachte leise bei dem Gedanken. Das war wahrhaft vermessen gewesen, das wusste er jetzt wie damals. Regungslos saß er weiter am Herd und hing seinen Erinnerungen nach. auch Stoffel von Freiburg kam ihm in den Sinn, und seine augen begannen zu glänzen.
Stoffel war ein wahrer Segen für die Bundschuhverschwörung gewesen. Äußerlich erschien er wie ein Ritter. Mit einem weißen, mit schwarzem Samt ausgelegten Mantel ritt er über die Lande und bediente sich Bettlern und Landstreichern, um Nachrichten hin und her zu tragen. Das war ein schlauer Plan gewesen, denn die Bettler waren wie eine Zunft organisiert und unterstanden Hauptleuten, die sie sich selbst erwählten. Mit diesen Oberen knüpften Joß und Stoffel Verbindungen, und so standen ihnen ganze Bettlerrotten zur Verfügung.
Stoffel von Freiburg teilte von Gau zu Gau Gesellen ein, die ihre Bezirke beobachteten und ihm Meldung machten. außerdem bekamen sie für jedes neu geworbene Mitglied einen Pfennig. So wuchs die Bundschuhvereinigung stetig an, und Joß und Stoffel hielten Musterungen ab – vorwiegend nachts. Doch trotz guter Planung und sorgfältiger Vorbereitung wurde auch diese Verschwörung verraten, da man einen der ihren durch Folter dazu gebracht hatte, von ihren Plänen zu erzählen.
Rasch wurden Hunderte Verschwörer gefangen genommen und getötet. Glücklicherweise konnten die meisten fliehen. So gelang auch Joß Fritz und Stoffel von Freiburg die Flucht, und sie sahen sich nie wieder.
Hofmeister vergrub das Gesicht in den Händen. Dann wischte er sich über die augen und seufzte.
Es wäre für Joß Fritz gefährlich gewesen, das Leben mit Else wiederaufzunehmen. Er wusste, dass sie auch ohne ihn zurechtkommen würde, und so kehrte er zu Elisabeth und den Kindern in die Pfalz zurück. Denn nur in Mehlbach als Daniel Hofmeister fühlte er sich sicher. Hier ahnte niemand etwas von seinem Doppelleben.
Wie groß seine Kinder geworden waren! Sie bestürmten ihn mit Fragen über das gelobte Land, und bildhaft erzählte er, was sie hören wollten: von fremden Ländern und wilden Tieren. Von Überfällen, bei denen seine Pilgermarke und alle anderen Dinge abhandengekommen waren, auch von vielen Gefahren, die er angeblich bezwungen hatte.
Jeder im Ort bewunderte seinen Mut, und so fühlte sich Daniel Hofmeister in Mehlbach als Sieger, obwohl er als Joß Fritz im Breisgau eine Niederlage erlitten hatte.
Doch das ruhige Bauernleben währte nur wenige Jahre, als Hofmeister erfuhr er, dass im Oberrheingebiet Menschen wieder bereit waren, Joß Fritz erneut zu
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