Gabe der Jungfrau
folgen. So verließ er ein weiteres Mal die Familie. Zum abschied hatte der Pfarrer zu ihm gemeint: »Ja, wenn einen einmal das Pilgerblut gepackt hat, dann kann man davon nimmer lassen!« Und so wallfahrtete Hofmeister angeblich nach Spanien. In Wirklichkeit führte ihn sein Weg wieder in seine Heimat, wo er einmal aufs Neue eine Verschwörung aufzubauen gedachte …
»Ihr seid schon auf, Bauer?«
Hofmeister wurde aus seinen Gedanken gerissen, und es dauerte einen Moment, bis er sich gefasst hatte. Dann fuhr er die Küchenmagd unwirsch an: »Ich glaubte schon, du faules
Weibsstück würdest den ganzen Tag im Bett liegen. Seit geraumer Zeit sitze ich nun hier und warte, dass du mir etwas zu essen machst.«
Die Magd schöpfte daraufhin sogleich Wasser aus einem Eimer, um ihrem Herrn Gerstenbrei zu kochen.
Grummelnd verließ Hofmeister die warme Küche. Vor der Zimmertür atmete er tief durch.
»Fort mit den Erinnerungen!«, befahl er sich leise. Doch ungewollt klangen Kilians Worte in ihm nach: »Wir brauchen dich, Joß, haben dich immer gebraucht.«
Plötzlich hatte er das Gefühl, als fließe neu gewonnene Kraft durch seinen Körper. Er streckte das Kreuz und straffte die Schultern. »Sie brauchen mich!«, flüsterte er heiser und wusste, was er zu tun hatte.
An den darauffolgenden abenden sprach Daniel Hofmeister mehrmals mit seinem ältesten Sohn Jakob und regelte alle ihm wichtig erscheinenden angelegenheiten auf dem Hof.
Mitten in der Nacht schlich er dann zu seinem jüngsten Sohn Nikolaus und strich dem schlafenden Jungen über das Haar.
Daniel Hofmeister hatte seinen Söhnen und dem Gesinde bereits mitgeteilt, dass er sich zu einer weiteren Pilgerreise ins gelobte Land entschlossen habe. Es gab nichts mehr zu sagen, und so verließ er kurz nach Mitternacht unbemerkt den Hof.
Die Sichel des Halbmondes stand hoch am Himmel und spendete Licht. Hofmeister drehte sich auf der Kuppe in der Nähe des Hofs ein letztes Mal um, um den anblick seines anwesens in sich aufzunehmen. Dann gab er dem Pferd entschlossen die Sporen und ritt in Richtung Neustadt davon.
Kapitel 11
Die Äste knackten und brachen, als anna Maria auf sie trat. Sie hatte das Gefühl, als verschlucke der Wald das Tageslicht. Die Bäume, die dicht an dicht standen, wirkten düster und unheimlich. Nur wenn sich die Sonnenstrahlen in den Baumkronen brachen, erschien der Wald in freundlicherem Licht.
Anna Maria erinnerte sich an Wendels Rat, in den Morgenstunden mit der Sonne im Rücken zu marschieren. Um die Mittagszeit sollte die Sonne dann auf ihrer rechten Seite und ab Mittag vor ihr stehen. Wenn sie das beachtete, würde sie auf direktem Weg ins Elsass gelangen. auch hatte Wendel ihr erklärt, dass Bäume auf der Seite, die nach Norden wies, oft mit Moos bewachsen waren. Wenn die Sonne also einmal nicht scheinen würde, könnte sie mit Hilfe der moosbewachsenen Baumseiten den Weg und die Richtung bestimmen. Doch dürfe sie nie in diese Richtung gehen, denn dann würde der Weg sie nach Norden führen, und dorthin wolle sie auf keinen Fall.
Anna Maria hatte keine angst, sich zu verlaufen. Viel mehr fürchtete sie die Wölfe, von denen sie zwar weder etwas hörte noch sah. Doch das Wissen, dass es sie hier gab, flößte ihr Furcht ein. Das Mädchen hoffte, dass die Wolfsschlucht noch weit entfernt war, zumal Ruth ihm erklärt hatte, dass sie nie dort gewesen war. allerdings hatte sie auch ängstlich hinzugefügt: »So weit in den Wald hinein habe ich mich nie getraut!«
Anna Maria kannte die Schauermärchen, die die Vaganten sich erzählten. Jeden Winter um dieselbe Zeit kam eine Gruppe des fahrenden Volkes nach Mehlbach, um dort in einer abgelegenen Scheune die kalten Wintermonate zu verbringen.
Zwar hatte die Mutter ihrer Tochter und ihren Söhnen stets verboten, sich mit den Fremden abzugeben, doch die Geschichten, die das Wandervolk zu erzählen wusste, verzauberten nicht nur die Kinder. Es war ihr Vater gewesen, der anna Maria und ihre Brüder heimlich zu den Vaganten mitgenommen hatte. Während er sich mit den Ältesten der fahrenden Gesellen unterhielt, lauschten die Buben und anna Maria dem Geschichtenerzähler der Gruppe. Gespannt hatten sie um das Lagerfeuer gesessen und dem alten zugehört. Dabei erfuhren sie von Menschen, die sich in Wölfe verwandeln konnten, von wilden Kreaturen, die nachts in die Dörfer gingen, um zu jagen, und aus diesem Grund selbst gejagt wurden.
Beim Gedanken an die
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