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Gabe des Blutes

Gabe des Blutes

Titel: Gabe des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacquelyn Frank
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eine mögliche Bedrohung zu schützen. Weil er Mystique schon vor der Sache mit Chayne für eine Bedrohung gehalten hatte, würde Delano sein Leben aufs Spiel setzen und sich den Zorn seines Primus zuziehen, wenn er glaubte, er müsse eine Gefahr von Reule und von Jeth abwenden.
    Mystique war kühn und furchtlos, als sie vor ihnen herging und die Hand auf den Türgriff zu Chaynes Privatgemach legte. Sie zögerte, und er verstand, warum. Jedem sensiblen Wesen, das sich diesem Raum näherte, wäre es so ergangen. Hinter dieser Tür gähnte ein Abgrund aus tiefen Gefühlen und Schmerz. Selbst im Schlaf kämpfte Chayne ums Überleben. Oder um Erlösung. Reule konnte die Worte nicht vergessen, die sie im Namen des Spurenlesers gesprochen hatte. Er sah, wie sie die Tür aufstieß, und er blieb dicht hinter ihr, um sich so zwischen sie und Delano zu stellen.
    Ein durchdringender Gestank schlug der Gruppe entgegen, sodass sie erschrocken stehen blieben. Mystique fasste sich als Erste wieder und ging weiter in den Raum hinein, während die Männer sich instinktiv dagegen wehrten, ihren Freund so sterben zu sehen.
    Im Raum war es beinahe stockfinster, und Mystique brauchte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Es gab eine einzelne Talgkerze, die auf dem Nachttisch neben dem Bett flackerte. Die Luft im Raum war verbraucht und stank nach faulendem Fleisch. Mystique merkte sofort, dass ihr der Geruch vertraut war, so vertraut, dass er sie kaum störte. Sie fragte sich nicht, warum das so war. Sie befand sich bereits auf Autopilot und gehorchte ihrem Körper und ihrem Instinkt. Anscheinend besaßen beide ein Gedächtnis, das ihren bewussten Verstand überdauerte.
    Als Nächstes konzentrierte sie sich auf das Bett und auf den Mann, der danebensaß. An der Art, wie er hochschreckte und sich dann erhob, sah man sofort, dass er gedöst hatte. Sie wusste augenblicklich, was seine Aufgabe war, so wie sie auch wusste, dass schlafen nicht dazugehörte. Wut stieg in ihr auf, als sie daran dachte, wie der verwundete Mann in dem Bett tagein, tagaus litt und dieser gesunde Mann nicht die Energie und die Fürsorge aufbrachte, sich um seinen Patienten zu kümmern.
    »Scharlatan!«, stieß sie hervor und zeigte anklagend mit dem ausgestreckten Finger auf den Pharmazeuten. »Wie könnt Ihr es wagen, Euch Heiler zu nennen! Wo sind Eure Kräuter? Wo ist Euer gesunder Menschenverstand? Ich sehe weder Desinfektionsmittel noch frische Schwämme, um das Fieber zu senken. Oder verfügt Ihr über magische Kräfte, um den Kranken zu heilen, während Ihr an seinem Bett döst?«
    Sie spürte die verblüfften Blicke des Rudels auf sich, während sie zum nächsten Fenster stürmte und es aufriss. Kalte frische Luft strömte herein und vertrieb den Gestank von Wundbrand.
    »W-wer …? Wie können Sie es wagen!«, stotterte der Pharmazeut. »Die Kälte wird ihn umbringen bei seinem Fieber! Mein Primus! Habt Ihr einen anderen Apotheker geholt? Lasst Ihr mich ersetzen, weil ich in einer hoffnungslosen Situation nicht helfen kann?«
    »Sprecht mit mir !« Der Befehl kam zwar von einer kleinen Gestalt, doch er hallte mit erstaunlicher Lautstärke von den Dachbalken wider. »Antwortet mir und sucht nicht Zustimmung bei denen, die nichts von Medizin verstehen! Beantwortet meine Fragen, Scharlatan! Kräuter? Schwämme? Saubere Luft? Beleuchtung? Desinfektionsmittel?«
    Einer aus dem Rudel, sie wusste nicht, wer, zündete ein Streichholz an, und der Raum wurde heller. Schließlich blickte Mystique zu dem Mann im Bett.
    »Du meine Güte«, flüsterte sie.
    »Verdammt«, keuchte Delano, als er seinen Bruder sah.
    Chayne lag unter vom Eiter fleckigen Laken, und der Verband auf den vier verletzten Stellen war mit gelber und brauner Flüssigkeit getränkt. Die Matratze war ruiniert. Chayne war schweißgebadet und rot vom Fieber und zum Glück aufgrund von Reules Eingreifen nicht bei Bewusstsein.
    »Es war immer dunkel. Der Raum war immer dunkel«, hörte Reule sich selbst erschrocken sagen, als er begriff, dass sich Chaynes Zustand direkt vor seiner Nase weiter verschlechtert hatte. Mystique wusste außerdem, dass er keinen Hinweis auf eine Lüge gefunden hätte, selbst wenn er die Gedanken des Mediziners gelesen hätte, denn dieser glaubte zweifellos, dass er das getan hatte, was jeder andere Arzt auch tun würde. Dunkle Krankenzimmer, wo man die Kranken einschloss und wartete, bis das Fieber verschwand oder bis der Tod eintrat, das war die

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