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Gabe des Blutes

Gabe des Blutes

Titel: Gabe des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacquelyn Frank
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… etwas, das ich nicht kenne und von dem ich noch nie gehört habe.«
    Andererseits war die Geschichte der Sánge im Krieg verloren gegangen. Es gab nur noch das, was von ihrer Stammesbibliothek übrig geblieben war, und die Erzählungen seiner Eltern. Seine Rudelgefährten hatten das Gleiche erlebt.
    Reule hörte ein leises Quietschen und blickte rasch wieder zu Mystique. War sie in den letzten Minuten noch blasser geworden? Er bemerkte die hellen Linien, die sich auf einmal in ihre Mundwinkel gegraben hatten. Es war Schmerz. Sie hatte Schmerzen.
    » Kébé …« Er sprach leise, um sie nicht zu erschrecken. Als sie nicht reagierte, fasste er vorsichtig nach ihrer Schulter. Doch bevor er sie berührte, sorgte er dafür, dass er ihre psychische Rückkoppelung abblockte. Das Letzte, was das Rudel jetzt brauchen konnte, war, dass sie die Rückwirkung ihrer unverhofften Fähigkeit abbekamen. Er packte sie und schüttelte sie. Zu seiner Überraschung wehrte sie ihn heftig ab und fuhr mit den Händen zu Chaynes Schultern, ohne auch nur einmal die Augen zu öffnen.
    Als sie sich vorbeugte, sah er, dass sich ein Fleck auf ihrem Rock ausbreitete. Das Silber war von einer Flüssigkeit durchtränkt, die er nicht erkennen konnte. Er nahm an, dass es sich um Chaynes Körperflüssigkeiten handelte. Er blickte hinab zu den Wunden des obersten Fährtenlesers, die noch immer offen waren, jedoch völlig frei von Wundbrand. Und wenn er nicht halluzinierte, lagen die zerschmetterten und unnatürlich abstehenden Knochen seiner Beine so gerade da, als wären sie überhaupt nicht gebrochen gewesen.
    Reule blickte auf, als er spürte, wie die restlichen Rudelmitglieder kamen und sich über die Szenerie beugten. Es war ein Bild der Hoffnung, eine Chance für einen kranken Gefährten, den sie fast schon aufgegeben hatten. Ihre telemetrische Fähigkeit hatte gezeigt, dass Chayne sich selbst ebenfalls aufgegeben hatte. Sie standen da und versuchten ihre Gefühle im Zaum zu halten, während die kleine fremde Frau ein Wunder vollbrachte.
    Für Mystique bestanden die nächsten Minuten aus einem roten Nebel im Kopf, der mit jedem Atemzug dichter wurde. Ihr Körper war längst taub und verschwunden. Jetzt gab es nur noch Chaynes Körper. Fünf Tage lang war er durch die Hölle gegangen, doch davon abgesehen war es ein guter, starker Körper mit gesunden Muskeln und mit ungeheurer Willenskraft.
    Am Anfang hatte er sie abgewehrt, hatte nach Linderung und Trost verlangt statt nach Hilfe. Sie hatte kostbare Zeit und Energie darauf verwandt, ihm etwas zu erklären, was sie selbst kaum verstand. Sie musste ihm schwören, dass man ihn nicht zum Krüppel machen würde. Sie hatte es geschworen. Jetzt nannte er sie einen Engel, den der Herr geschickt hatte, und lieh ihr schließlich seinen Geist für seine Heilung, anstatt sie abzuwehren.
    »Engel?«
    »Ja, Chayne?«
    »Wer hat dich geschickt?«
    »Dein Primus hat mich geschickt. Er liebt dich sehr. Er hat sich geweigert, dich im Stich zu lassen.«
    »Engel, was habe ich getan, dass ich dieses Wunder verdiene?«
    »Du hast überlebt, Chayne, wo andere es nicht geschafft hätten.«
    »Reule hätte überlebt.«
    »Ja. Er ist außergewöhnlich, euer Primus.«
    »Du empfindest etwas für ihn. Wie verdient sich ein Mann die Zuneigung eines Engels?«
    »Ruhig, Chayne. Konzentrier dich auf deine Heilung. Deine Freunde warten ängstlich auf deine Heilung.«
    Mystique konzentrierte sich auf die Verbindung ihrer Hände mit seiner Haut. Beim Heilen seiner Beine hatte sie gemerkt, dass es am besten war, wenn sie sich ein Paar Schläuche vorstellte, einen in der Mitte jeder Handfläche, um die Fäulnis und das Fieber in sich aufzunehmen und so seine offenen Wunden davon zu befreien. Sie nahm alles in sich auf, so gut sie konnte. Sie wusste, dass es allein durch Instinkt funktionierte, und spürte, wann sie den nächsten Schritt tun musste. Als Nächstes folgte die Wiederherstellung. Seine Knochen bestanden nur noch aus Splittern, und sie war überrascht, dass keiner in die Blutbahn geraten und wie ein Messer in sein Herz oder sein Gehirn gedrungen war. Er hatte unvorstellbares Glück gehabt. Sie schüttelte den Kopf, als das Rot darin zu brennen begann, wie wenn sie zu lange in die grelle Sonne gestarrt hätte. Ihr Gesicht, ihre Arme und ihre Beine brannten. Sie hatte Chayne geschworen, dass er wieder ganz gesund würde, und sie hatte ihn zumindest so weit heilen können, dass der Rest nun von selbst geschehen würde.

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