Gabe des Blutes
kümmern. Warum kommst du damit zu mir?«
»M-mein Primus«, stammelte der Diener hastig, »es ist nicht die Art Hilfe, an die Ihr denkt. Der Bauer möchte keinen der Rudelgefährten sehen.«
»Wen dann?«, fragte Reule ungeduldig.
Doch Darcio wusste es instinktiv, und aus Furcht vor Reules Unberechenbarkeit suchte er im Geist des Dieners nach der Antwort. Gedanken durchströmten ihn und bestätigten augenblicklich seinen Verdacht.
»Sag dem Bauern, dass er heute keine Hilfe bekommen kann. Er soll in ein, zwei Tagen wiederkommen. Dann wird sie bereit sein, Besuch zu empfangen.«
Reules Kopf schnellte herum, bevor der Diener antworten konnte, und Darcio bemerkte seinen Fehler zu spät. Er hätte nicht »sie« sagen sollen.
»Ein Bauer ist gekommen, um Mystique zurate zu ziehen? Woher weiß ein gewöhnlicher Mann von Mystique? Und welche Art von Hilfe will er eigentlich?«
»Mein Primus«, sagte der Diener mit überraschender Gelassenheit, »es gibt kaum jemand in Jeth, der nicht von der fremden Frau gehört hat. Schon der Pharmazeut war …«
»Der Pharmazeut?«, brüllte Reule.
»Anscheinend hat er sich aus dem Staub gemacht«, antwortete Darcio anstelle des Dieners. »Auf dem Weg aus der Stadt hatte er eine Menge zu erzählen über deine ›fremde Hure‹, mein Primus, und zwar jedem, der es hören wollte. Laut den Worten des Pharmazeuten hat sie ihn entlassen, nachdem sie ihn und alle Sánge beleidigt hat. Dann hat der Mediziner seinen Zuhörern erzählt, dass sie allein für den Tod von Chayne verantwortlich sei, weil sie ihre fremdartigen Methoden an ihm angewandt habe.«
»Himmel noch mal, das wird dieser Mistkerl büßen! Er wusste ganz genau, dass Chayne unter seiner Obhut schon dem Tode nah war!«
»Natürlich«, stimmte Darcio in seiner lockeren und unbesorgten Art zu. »Ich bin mir sicher, das war der Punkt. Egal, was wir gesagt hätten – wenn Chayne gestorben wäre, wäre die ›fremde Hure‹ dafür verantwortlich gewesen, und wir hätten die Wahrheit vertuscht.«
»Wenn sie noch einmal jemand so nennt, Darcio, knöpfe ich ihn mir persönlich vor«, sagte Reule barsch.
»Ich bitte vielmals um Verzeihung, mein Primus«, sagte Darcio aufrichtig und setzte ein gewinnendes Lächeln auf, um seinen Anführer zu beruhigen. »Aber wir dürfen den Bauern nicht vergessen.«
»Den Bauern«, wiederholte Reule und zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Warum sollte nach den Lügen des Pharmazeuten ausgerechnet ein Bauer kommen, um Mystique aufzusuchen?«
»Erstens, mein Primus«, sagte der Diener rasch, »gibt es keinen Pharmazeuten mehr, den die Leute zurate ziehen könnten. Er hat sogar seine beiden Lehrlinge mitgenommen. Deshalb ist der einzige Heiler, den es noch gibt, derjenige, der jetzt seine Position innehat.«
»Mystique«, flüsterte Reule. »Aber er hat sie doch gewarnt, dass sie einen Rudelgefährten töten würde. Das ist genauso schlimm wie zu behaupten, dass sie mich umbringen wollte.«
»Zweitens, mein Primus«, fuhr der Diener ungerührt fort, »glaube ich, dass der Sohn des Bauern sterbenskrank ist und dass er alles versuchen würde, sogar die Methoden einer fremden … äh … Frau.« Der Diener errötete, als Darcio schmunzelte. »Er hat nichts zu verlieren.«
»Es ist mir egal, was die Beweggründe des Vaters sind, der Junge braucht jedenfalls Hilfe.«
Die drei Männer drehten sich um, als Mystique mit wehenden Röcken in den Gemeinschaftsraum marschierte. Sie steckte sich rasch das Haar hoch und sah aus wie jemand, der sich um eine ernste Angelegenheit kümmern wollte. Darcio sah, wie Reule auf sie zustürzte und sie am Arm packte.
» Kébé , du musst dich ausruhen.«
»Ja, ich weiß«, sagte sie und versuchte sanft ihren Arm wegzuziehen. Sie hätte genauso gut versuchen können, aus einem Gefängnis zu fliehen. Ihr Blick auf seine Hand bewirkte auch nicht viel. Darcio musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als würde er bei einem Sportereignis zuschauen. Er belustigte sich über Reules Verhalten. Er war von Natur aus ein beschützender Typ, doch das hier war geradezu besitzergreifend. »Reule«, sagte Mystique sichtlich verärgert, »es geht mir gut. Schau meine Arme an. Siehst du?« Sie streckte einen Arm aus, der unterhalb des halblangen Ärmels ihres taubengrauen Samtmantels nackt war.
Mystique zeigte ihren fast verheilten Arm vor. Von den hässlichen und schmerzhaften Wunden vom Vorabend waren nur noch ein
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