Gabriel Labert
habe, nur um sich meiner zu entledigen, vorgegeben, er reise ab.‹ ›Und wie bist du auf diesen Gedanken gekommen?‹ fragte der Priester.
›Einmal sein Stillschweigen: so überstürzt die Abreise auch hätte sein können: soviel Zeit, mir wenigstens ein Wort zu schreiben, wäre immer gewesen. Und wenn nicht von Paris, so von dem Ort, wo er sich einschiffte oder wo er angekommen wäre. Hätte er mir nicht Nachricht geben müssen? Weiß er nicht, daß ein Brief von ihm mein Leben und vielleicht das Leben meines Kindes bedeutet?‹
Der Pfarrer seufzte.
›Ja, ja‹, murmelte er, ›der Mensch ist im allgemeinen selbstsüchtig, und ich will niemand verleumden; doch Gabriel, Gabriel! Ich möchte das nicht von ihm glauben. – Du sagst also, du möchtest wissen …‹
›Ob Gabriel wirklich von Paris abgereist ist.‹ ›Das ist leicht zu erfahren … mir scheint, durch seinen Vater. Höre, ermächtigst du mich, seinem Vater alles zu sagen?‹ ›Ich habe mein Leben und meine Ehre in Ihre Hände gelegt, mein Vater; tun Sie, was Sie für richtig halten.‹
›Erwarte mich, meine Tochter‹, sprach der Priester.
›Ich gehe zu Th omas Lambert.‹
Und er entfernte sich.
Ich blieb auf den Knien und stützte meinen Kopf auf den Arm des Lehnstuhls, ohne zu beten, ohne zu weinen, in meine Gedanken versunken.
Nach einer Viertelstunde öffnete sich die Tür ein weiteres Mal.
Ich hörte Tritte, die sich mir näherten, und eine Stimme sprach zu mir: ›Steh auf, meine Tochter, und komm in meine Arme.‹ Ich hob den Kopf und sah mich Gabriels Vater gegenüber. Er war ein Mann von fünfundvierzig Jahren, bekannt durch seine Redlichkeit, einer von den Menschen, die nur eines kennen: das gegebene Wort zu erfüllen. ›Hat dir mein Sohn je gesagt, er würde dich heiraten?‹ fragte er mich. ›Laß hören, antworte mir, wie du Gott antworten würdest.‹
›Nehmt‹, sagte ich und reichte ihm Gabriels Brief, in dem er mir versprach, mich in drei Monaten zu sich kommen zu lassen, und in dem er mich seine Frau nannte.
›Und in der Überzeugung, er würde dein Gatte werden, hast du ihm nachgegeben?‹ ›Ich habe ihm nachgegeben, weil er abreisen wollte und weil ich ihn liebte.‹ ›Gut geantwortet‹, sprach der Priester und nickte billigend mit dem Kopf. ›Gut geantwortet, mein Kind.‹
›Ja, Sie haben recht, Herr Pfarrer‹, sagte Thomas Lambert, ›Marie‹, fuhr er fort, ›du bist meine Tochter, und dein Kind ist mein Kind; in acht Tagen werden wir erfahren, wo Gabriel ist.‹
›Wie das?‹ fragte ich.
›Ich muß nach Paris fahren, um einige wichtige Dinge mit meinem Gutsherrn persönlich zu ordnen. Morgen reise ich ab. In Paris gehe ich zu dem Bankier, und ich schreibe dann an Gabriel, wo er auch sein mag, und ich werde ihn auffordern, sein Wort zu halten.‹
›Gut‹, versetzte der Pfarrer, ›gut, Thomas; und ich füge Eurem Brief einen von mir bei, in dem ich im Namen der Religion mit ihm sprechen werde.‹
Ich dankte beiden von ganzem Herzen, und der Priester begleitete mich ein Stück, als ich nach Hause ging.
›Morgen‹, sagte er zu mir.
›Oh, mein Vater‹, entgegnete ich, ›ich darf mich also mit meinen Kameradinnen noch in der Kirche zeigen?‹
›Für wen sollte denn die Kirche ihre Tröstungen bereithalten, wenn nicht für die Unglücklichen?‹ erwiderte der Priester.
Am nächsten Tag beichtete ich und erhielt die Absolution.
Am darauffolgenden Tag, am Ostertag, nahm ich das Abendmahl mit meinen Kameradinnen. Thomas Lambert war, wie er es gesagt hatte, am Abend zuvor nach Paris gereist.
Es vergingen acht Tage, während welcher ich jeden Morgen den Pfarrer besuchte, um ihn zu fragen, ob er Nachricht vom Vater Thomas erhalten hätte; während dieser acht Tage kam kein Brief.
Am Abend des Sonntags, der auf das Osterfest folgte, sah ich gegen sieben Uhr die alte Katherine eintreten, sie wollte mich im Auftrag ihres Herrn holen.
Ich stand auf, am ganzen Leib zitternd, und folgte ihr eiligst, und ich hatte nicht die Ruhe, mit meiner Frage nach dem Ergebnis von Vater Thomas’ Reise nach Paris zu warten, bis ich beim Pfarrer war.
Sie sagte mir, der Vater Thomas sei soeben von Paris zurückgekehrt. Weiter zu fragen, hatte ich aber dann doch nicht mehr die Kraft.
Als ich in das Pfarrhaus kam, saßen beide in dem kleinen Kabinett, in dem ich vor Ostern gewesen war. Der Pfarrer war traurig und Vater Thomas ernst und düster.
Ich blieb an der Tür stehen, denn ich fühlte, daß meine Sache
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