Gabriel Labert
entschieden und verloren war. ›Mut, mein Kind‹, sprach der Priester, ›Vater Thomas bringt uns schlimme Nachrichten.‹
›Gabriel liebt mich nicht mehr!‹ rief ich.
›Man weiß nicht, was aus Gabriel geworden ist‹, erwiderte der Pfarrer. ›Wieso?‹ rief ich. ›Ist das Schiff, auf dem er sich befand, verlorengegangen? Ist Gabriel tot?‹ ›Gefiele es dem Himmel, und entspräche die ganze Geschichte, die er uns erzählt hat, der Wahrheit!‹ sagte der Vater. ›Welche Geschichte?‹ fragte ich erschrocken, und ich sah alles nur noch wie durch einen Schleier.
›Ja‹, sagte der Vater, ›ich ging zu dem Bankier, doch er wußte nicht, was ich wollte, denn er hat nie einen Kommis namens Gabriel Lambert, er hat nie Geschäfte in Guadeloupe gehabt.‹
›O mein Gott, dann hättet Ihr zu dem gehen müssen, der ihm die Stelle verschafft hat, zu dem Kandidaten, Ihr wißt.‹
›Ich bin bei ihm gewesen‹, erwiderte der Vater.
›Nun?‹
›Er hat nie an mich oder meinen Sohn geschrieben.‹
›Aber der Brief!‹
›Den Brief hatte ich bei mir, ich zeigte ihm ihn, er erkannte auch seine Handschrift, doch er hat ihn nicht geschrieben.‹
Ich ließ meinen Kopf sinken.
Thomas Lambert fuhr fort: ›Von da ging ich in die Rue des Vieux-Augustins, in das Hotel de Venise.‹
›Habt Ihr dort eine Spur von ihm gefunden?‹
›Er hat sechs Wochen in diesem Hotel gewohnt und hat es, nachdem er seine Rechnung bezahlt, verlassen, und man weiß nicht, was aus ihm geworden ist.‹
›O mein Gott!‹ rief ich. ›Was soll das alles bedeuten?‹
›Das soll bedeuten‹, murmelte Thomas Lambert, ›daß von uns beiden, mein armes Kind, ich wahrscheinlich am unglücklichsten bin.‹
›Ihr wißt also durchaus nicht, was aus ihm geworden ist?‹
›Ich weiß es nicht.‹
›Aber auf der Polizei hättet Ihr vielleicht erfahren können …‹, sagte der Pfarrer. ›Ich dachte wohl daran‹, murmelte Thomas Lambert, ›doch ich befürchtete, auf der Polizei zuviel zu erfahren‹.
Wir erschauerten, und ich besonders.
›Und was ist nun zu tun?‹ fragte der Pfarrer.
›Wir müssen warten‹, antwortete Thomas Lambert.
›Doch sie‹, versetzte der Priester, indem er auf mich deutete, ›sie kann nicht warten.‹ ›Das ist wahr!‹ sprach Thomas Lambert. ›Sie soll bei mir wohnen, denn ist sie nicht meine Tochter?‹ ›Ja; aber da sie nicht die Frau Eures Sohnes ist, wird sie in drei Monaten entehrt sein.‹
›Und mein Vater‹, rief ich, ›mein Vater, der über diese Nachricht vor Kummer sterben wird?‹
›Man stirbt nicht vor Kummer‹, erwiderte Th omas Lambert, ›doch man leidet sehr, und es ist unnötig, diesen armen Mann leiden zu lassen; unter irgendeinem Vorwand wird sich Marie einen Monat bei meiner Schwester aufhalten, die in Caen wohnt, und ihr Vater erfährt nichts von dem, was während dieser Zeit vorfällt.‹
Alles geschah, wie es verabredet wurde.
Ich brachte einen Monat bei Thomas Lamberts Schwester zu; während dieses Monats gebar ich das Kind, das dort im Lehnstuhl schläft.
Mein Vater wußte nichts von dem, was mir begegnet war, und das Geheimnis wurde so gut bewahrt, daß es ihm wie jedem andern unbekannt blieb.
Es vergingen fünf oder sechs Monate, ohne daß ich irgend etwas von Gabriel hörte; doch endlich eines Morgens verbreitete sich das Gerücht, der Bürgermeister sei in Paris gewesen und Lambert begegnet.
Man erzählte in diesem Zusammenhang so seltsame Dinge, daß man an ihrer Wahrheit zweifeln mußte.
Ich ging zu Thomas Lambert, um mich zu erkundigen, was wohl an den Gerüchten, die bis zu mir gedrungen, Wahres sein könnte; doch ich war kaum fünfzig Schritt vom Hause, als ich den Bürgermeister selbst traf.
›Nun, meine Schöne‹, sagte er, ›ich wundere mich nicht mehr, daß dein Liebhaber zu schreiben aufgehört hat; es scheint, er hat sein Glück gemacht; ich habe also damals mit meiner Prophezeiung recht gehabt.‹
›Mein Gott, was ist denn?‹ fragte ich.
›Wie? Ich weiß es nicht; doch soviel ist wahr, als ich von Courbevoie zurückkam, wo ich bei meinem Schwiegersohn zu Mittag gespeist hatte, begegnete ich einem schönen Herrn zu Pferde, einem Elegant, einem Dandy, dem ein Bedienter, ebenfalls zu Pferd, folgte. Rate, wer es war!‹
›Wie soll ich das erraten?‹
›Es war Meister Gabriel. Ich erkannte ihn und lehnte mich halb aus meinem Wagen, ihn zu rufen, und ohne Zweifel erkannte er mich ebenfalls. Doch ehe ich Zeit gehabt hatte, seinen Namen
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