Gabriel Labert
sich meiner bemächtigte, begriff ich, daß es durchaus kein anderer sein konnte.
Ich wartete.
Es schlug halb zwölf. Die ersten Besucher verließen die Oper, die Wagen fuhren einer nach dem andern vor.
Eine Gruppe, die aus einem Mann von ungefähr fünfzig Jahren, aus einem jüngeren Mann und zwei Frauen bestand, näherte sich einem Wagen; der junge Mann war Gabriel; er gab der älteren der zwei Frauen den Arm; die andere war eine reizende junge Dame.
Er stieg jedoch nicht mit ihnen in den Wagen, sondern begleitete sie nur bis zum Wagenschlag; nachdem er sich vor ihnen verbeugt hatte, trat er ein paar Schritte zurück und wartete dann, bis sein Wagen ihn abholte.
Ich hatte genügend Zeit, ihn prüfend zu betrachten, und es bestand kein Zweifel mehr, er war es; er gab laute Zeichen der Ungeduld von sich, und als der Kutscher vorfuhr, beschimpfte er ihn, daß er ihn hatte fünf Minuten warten lassen.
Ist das der demütige, schüchterne Gabriel, das Kind, das ich vor den anderen Kindern beschützt hatte? ›Wohin fährt der gnädige Herr?‹ fragte der Lakai, während er den Schlag schloß. ›Nach Hause‹, antwortete er.
Der Wagen fuhr sogleich ab, erreichte den Boulevard und wandte sich nach rechts.
Ich kehrte in das Hotel zurück und wußte nicht, ob ich schlief oder wachte. Zuweilen kam es mir vor, als ob alles, was ich gesehen hatte, ein Traum wäre.
Zwei Tage später geschah dasselbe, nur mit dem Unterschied, daß ich diesmal, statt die Abfahrt des Wagens am Operneingang zu erwarten, mich an der Ecke de Rue Lepeletier aufstellte; der Wagen kam ein paar Minuten vor Mitternacht vorbei; er fuhr ein ganzes Stück den Boulevard entlang und bog dann in die zweite Straße rechts.
Ich ging bis zu dieser Straße, um zu erfahren, wie sie hieß; es war die Rue Taitbout.
Wiederum zwei Tage später wartete ich an der Ecke der Rue Taitbout. Einmal mußte ich ja auf diese Weise zum Ziel gelangen.
Der Wagen hielt vor der Nummer elf; hier mußte Gabriel also wohnen. Ich langte gerade in dem Augenblick vor der Tür an, als der Portier die beiden Flügel schloß.
›Wohnt hier nicht‹, fragte ich mit einer Stimme, der ich vergebens Festigkeit zu verleihen suchte, ›wohnt hier nicht Herr Gabriel Lambert?‹
›Gabriel Lambert?‹ versetzte der Portier. ›Ich kenne diesen Namen nicht; es ist niemand dieses Namens im Haus.‹ ›Und der Herr, der eben zurückgekehrt ist – wie nennen Sie ihn?‹
›Wen?‹
›Denjenigen, dessen Wagen hier steht.‹
›Das ist der Vicomte Henri de Faverne und nicht Gabriel Lambert; wenn es das ist, was Sie wissen wollten, mein schönes Kind, so sind Sie nun auf dem laufenden.‹ Und er schloß die Tür vor mir.
Ich kam in das Hotel zurück, ungewiß über das, was ich tun sollte.
Wohl war es Gabriel, darüber gab es keinen Zweifel mehr; doch es war ein Gabriel, der reich geworden war, der seinen Namen verbarg und dem folglich mein Besuch doppelt unangenehm sein mußte.
Ich schrieb ihm. Aber ich adressierte: An den Herrn Vicomte Henri de Faverne, zur Übergabe an Herrn Gabriel Lambert. Ich bat ihn um eine Zusammenkunft und unterzeichnete: Marie Granger.
Am nächsten Morgen schickte ich den Brief durch einen Boten ab, dem ich auf eine Antwort zu warten auftrug. Der Bote kam bald zurück und sagte mir, der Vicomte wäre nicht zu Hause.
Einen Tag darauf ging ich selbst; ohne Zweifel war die Tür für mich verschlossen, denn die Bedienten behaupteten, der Vicomte wäre nicht zu sprechen.
Am dritten Tag war ich abermals dort. Die Bedienten sagten, der Herr Vicomte habe geantwortet, er kenne mich nicht und verbiete, mich ferner zu empfangen.
Da nahm ich mein Kind in die Arme und setzte mich auf den Prellstein der Tür gegenüber.
Ich war entschlossen zu bleiben, bis er ausgehen würde. Ich blieb den ganzen Tag, dann kam die Nacht. Um zwei Uhr zog eine Patrouille vorüber und fragte mich, wer ich wäre und was ich hier machte.
Ich sagte, ich warte.
Der Anführer der Patrouille befahl mir, ihm zu folgen.
Ich folgte ihm, ohne zu wissen, wohin er mich führte.
Da kamen Sie und nahmen sich meiner an.
Und nun, mein Herr, wissen Sie alles; sie kamen im Auftrag von ihm, ich habe keine andere Stütze in Paris als Sie. Sie scheinen gut zu sein; was soll ich tun? Sprechen Sie, raten Sie mir.« »Heute abend kann ich Ihnen nichts mehr sagen«, erwiderte ich, »Doch ich werde morgen früh sehen, was ich für Sie tun kann.«
»Und haben Sie einige Hoff nung, mein Herr?«
»Ja, ich habe
Weitere Kostenlose Bücher