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Gabriel

Gabriel

Titel: Gabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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Stuhl, dessen Lehne er zuvor umklammert hatte. Seine Zunge glitt über seine geraden weißen Zähne. Geistesabwesend betrachtete er eine der stahlverkleideten Wände und dachte an diese Frau mit dem pechschwarzen Haar und den hinreißenden blauen Augen.

5
    Gabriel wusste nicht, wie oft er die Fähre von Ullapool nach Stornoway schon genommen hatte. Er war älter als das Schiff, auch älter als die erste Fähre auf dieser Route. Seit hundert Jahren spürte er solche Decks unter den Füßen, solche Stufen, blickte durch Fensterscheiben voller Salzflecken auf das kalte graue Meer.
    Und immer wieder erschien es ihm wie das erste Mal. Niemals verlor das Wasser seinen Reiz, niemals verblasste seine Faszination. Gabriel respektierte das Meer wie nichts anderes auf der Welt, denn es war sogar älter als er selbst und genauso tödlich.
    Am wohlsten fühlte er sich auf dem offenen Aussichtsdeck. Wahrscheinlich hätte der eisige Wind das Immunsystem eines Menschen kurzerhand lahmgelegt. Aber er war kein Mensch. Der Wind tat weh, als missgönnte er ihm die Widerstandskraft. Das nahm Gabe hin. Zur Belohnung durfte er allein an der Reling stehen, eine einsame Gestalt in Schwarz, und den scheinbar endlosen Ozean bewundern.
    Dieses Privileg brauchte er jetzt. In letzter Zeit hatte er eine gewisse Angst empfunden. Was das bedeutete, wusste er nicht, denn es geschah sehr selten. Manchmal, in großen Abständen, fühlte er sich rasdos und unsicher, und sein Gehirn schien sonderbar umnebelt. So auch, als er in Ullapool an Bord und geradewegs an Deck gegangen war. Er hatte gewusst, der Wind würde die Angst vertreiben, den Nebel auflösen. Und er behielt recht. Wenn die Kälte auch schmerzte – sie rettete ihn.
    Ansonsten hatte er es natürlich nicht nötig, die Fähre zu benutzen. Wann immer er wollte, konnte er eine Tür aufsuchen, ein Portal zu dem Haus öffnen, das er mit seinen Brüdern teilte, und sich mittels der Extradimensionalität dieser Räume in jede gewünschte Gegend versetzen lassen.
    Diesmal kehrte er von einem kurzen Ausflug nach Glasgow zurück, wo er einiges mit der Bank geregelt hatte. Das war nicht schwierig gewesen. Ein kurzes, klärendes Gespräch mit Max, ein ebenso kurzer Besuch im Hauptbüro der Bank, und es gab keine Probleme mehr. Auf diese Art pflegten Gabriel, seine Brüder und ihr Hüter alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen und ihre Spuren zu beseitigen. Zum Glück besaß Max die Gabe, Akten, Beweismittel und Erinnerungen zu vernichten, um den Erzengeln jederzeit aus der Patsche zu helfen, und auch die Brüder selbst waren alles andere als hilflos. Michael, der Polizist, verfügte über eine Menge wichtiger Kontakte. Als berühmter Schauspieler konnte Uriel fast alle Leute dazu veranlassen, ihm zu helfen. Und Azrael gehörte einer sehr erfolgreichen Band an und besaß Talente, die sich der normalen Vorstellungskraft entzogen.
    Die jüngsten Schwierigkeiten, von Angus Dougal verursacht, hätte Gabriel auch aus der Welt schaffen können, ohne die Äußeren Hebriden zu verlassen. Aber Schottland war ein altes Land, die Bevölkerung in Traditionen und Kultur und Aberglauben verwurzelt. Er wollte keinen Verdacht erregen und so normal wirken, wie es einem übernatürlichen Wesen nur möglich war. Deshalb benutzte er die Fähre, und es lohnte sich.
    Lächelnd beobachtete er, wie die weißen Schaumkronen der Wellen über das blaugraue Meer glitten. Immer würde Schottland sich lohnen.
     
    Juliette starrte durch ein Fenster der Fähre auf das blaugraue Wasser. So kalt sah es aus. Und zeitlos, wie alles in Schottland.
    Seit drei Tagen war sie hier. Einen Tag hatte sie in Edinburgh verbracht, einen in Aberdeen, einen in Glasgow. Wegen diverser Komplikationen hatte sie in keinem ihrer Hotels eine Internetverbindung herstellen können. Auch hatte sie ihren Studienberater Dr. Larowe telefonisch in seinem Büro nicht erreichen können. Mit allen anderen Leuten in Pennsylvania hatte sie ebenfalls noch keinen Kontakt aufgenommen, ihre E-Mails noch nicht gecheckt. Von ihrer Arbeit ganz zu schweigen.
    In der Folge hatte sie den Gedanken an ihre Familie, die Freunde und ihr Studium beiseite geschoben und sich ganz auf ihre neue Umgebung konzentriert. Um das verlorene Gepäck zu ersetzen, war sie einkaufen gegangen, dankbar für den Vorschuss, den Samuel Lambent ihr geschickt hatte, und dafür, dass es Samuel Lambent überhaupt gab. Danach hatte sie die Straßen der drei Städte erkundet, fotografiert und mit

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