Gabriel
kurvenreich, von zerklüfteten Felsen gesäumt, der Verkehr von Schafen behindert, die blindlings vor die Autos gerieten.
»Nur Geduld, Daniel«, murmelte er.
Doch da beobachtete er durch das Schaufenster des Büros, dass sich der Sternenengel aufregte. Frustriert strich sich Juliette durchs Haar. Den Kopf schräg gelegt, schaute Daniel genauer hin. Die Frau hinter der Theke zuckte die Achseln, schuldbewusst, wie ihre Miene bekundete.
Seine Augen wurden schmal, und er rannte über die Straße. Ein Ohr an der Scheibe, lauschte er.
»… wegen des Festivals. Schon vor Wochen wurden alle Autos gebucht.«
»Ein Festival?« Offenbar schaffte Juliette es nur mühsam, in halbwegs ruhigem Ton zu sprechen.
»Das Musikfestival«, erklärte die Frau.
»Ah, Feis nan Coisir« ,seufzte Juliette, kniff sich in die Nasenwurzel und schloss sekundenlang die Augen. »Jetzt erinnere ich mich.«
»Sie haben einen sehr guten Akzent, Miss«, meinte die Frau hinter der Theke, und ihr Blick erhellte sich ein wenig.
»Danke.« Juliette tat ihr Bestes, um höflich zu bleiben. »Warten Sie, ich habe eine Bestätigungsnummer, die muss ich nur finden …« Hektisch kramte sie in ihrem ledernen Rucksack.
»Tut mir leid, ich fürchte, das wird Ihnen nichts nützen.« Das Bedauern der Frau wirkte echt. »Jetzt sind keine Autos mehr da, ganz egal, ob Sie eine Nummer haben oder nicht.«
Nun schien Juliettes schönes Gesicht zu versteinern, und Daniel wünschte, er könnte ihre Gedanken lesen. Dieses Talent besaß er nicht. »Okay«, sagte sie und hängte sich den Rucksack über die Schulter. »Die blöde Nummer steckt ohnehin in meinem Koffer, den ich auf dem Flughafen verloren habe.«
»Vielleicht gibt’s noch ein paar freie Hotelzimmer hier in Stornoway. Morgen können Sie ein Taxi zu Ihrem Cottage nehmen. Das wird allerdings teuer.«
Während Daniel belauschte, wie Juliette das Telefon der Agentur benutzte, um ein verfügbares Hotelzimmer zu ergattern, fuhr er sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die lange Unsichtbarkeit zehrte an seinen Kräften. Bei diesem Unternehmen stand das Glück nicht auf seiner Seite. Das Schicksal musste sich tatsächlich gegen ihn verschworen haben. Klar, die vier Lieblingserzengel des Alten Mannes werden ja stets bevorzugt.
Er wartete, bis er den Namen und die Adresse des Hotels erfuhr, in dem Juliette absteigen würde – über einem alten Pub, gleich um die Ecke. Dann stieß er sich von der Wand ab. Nun brauchte er eine Ruhepause. Er würde ein geeignetes Versteck finden, wo er schlafen und eine bewusstlose Frau unterbringen konnte.
Und dann würde er sich in Juliettes Hotel umsehen.
6
Daniel schwitzte und spürte, wie sich die Feuchtigkeit in seinem Nacken sammelte und den Hemdkragen durchnässte. Schon viel zu lange war er unsichtbar. Er musste dringend etwas essen und schlafen. Er hatte ein ideales Versteck für Juliette und sich selbst gefunden, und jetzt brauchte er nur noch das Hotel zu inspizieren. Doch die Anstrengung brachte ihn beinahe um.
Trotzdem zwang er sich, den brennenden Schmerz in seinen Muskeln zu ignorieren und nur an das Ziel seiner Mühe zu denken.
Gerade betrat der Sternenengel das Hotelzimmer am Ende des Flurs. Das Gebäude war sehr alt und der Zimmerschlüssel eine Antiquität, mindestens hundert Jahre alt. Mit dieser Situation war Juliette offenbar nicht glücklich. Aber sie war zu müde, um sich darüber zu ärgern, sofern ihre langsamen Bewegungen und die resignierende Miene diese Schlussfolgerung gestatteten.
Daniel beobachtete, wie sie die Tür hinter sich schloss. Immer noch unsichtbar, eilte er den Korridor entlang und sah sich im Treppenhaus um. Nun dauerte die ganze Prozedur schon viel zu lange. Juliette war zwar endlich allein, aber er fühlte sich zu schwach, um sie zu überwältigen, denn die Sternenengel waren keine hilflosen Geschöpfe. Mit aller Kraft würde sie sich gegen ihn wehren. Er brauchte nur ein paar Stunden Schlaf. Mehr nicht. Zwei oder drei. Danach würde er den schwierigen Teil seines verfluchten Plans durchführen. Inzwischen war das Pub im Erdgeschoss rappelvoll, und nach dem Lärm zu schließen, würde sich bis zwei oder drei Uhr morgens nichts daran ändern. Bis dahin würde Daniel genug Zeit für einen erholsamen Schlaf finden, und er musste kein Publikum fürchten, wenn er eine bewusstlose Frau die Personaltreppe hinab und in die Nacht hinaustrug. Um diese Zeit würden die wenigen Leute auf der Straße zu betrunken sein, um bei seinem
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