Gabun - Roman
Ich hätte noch viel erzählen können.
Felicité kniete vor unserem aufgeschichteten Brennmaterial und ließ ihr Feuerzeug klicken. Die Flamme fraß sich in das Häufchen aus Rindenstreifen. Vorsichtig blies sie hinein. Sah zu mir auf.
»Was haben sie für eine Regierung?«
»Schwer zu sagen. Man könnte sagen, sie regieren mit Hilfe von Sex.«
»Eine spannende Art zu regieren«, sagte Felicité.
»Mit restriktivem Sex allerdings«, erklärte ich. »Die Königin ist die Einzige, die Sex haben darf. Sie legt massenhaft befruchtete Eier, aus denen Larven schlüpfen, die zu Arbeiterinnen herangefüttert werden. Die künftigen Arbeiterinnen bekommen aber nicht das zu fressen, was eine Königin bekommt. Sie entwickeln sich aus dem Arbeiterinnenstadium nicht mehr weiter. Außerdem sendet die Königin ständig Duftsignale aus, auf die alle anderen Ameisen reagieren, die Arbeiterinnen bleiben auf diese Weise unfruchtbar. Sie paaren sich nicht, das tut nur die Königin. Und wenn Arbeiterinnen Eier legen, das tun sie manchmal, werden sie ihnen weggenommen und der Königin zum Fraß vorgelegt.«
»Aha«, sagte Felicité. Ich meinte, dieses »Aha« zu kennen, und schwieg.
Die Flammen schlugen aus dem kleinen Häufchen aus Spänen und Rinde. Felicité legte größere Äste auf das Feuer.
»Und woher kommen die Männchen?«, fragte sie.
»Um Männchen zu erzeugen, legt die Königin einfach unbefruchtete Eier. Die enthalten ihren eigenen halben Chromosomensatz. Aus diesen Eiern werden Männchen.«
»Interessant. Männchen als Nebenprodukt, oder?«
»So ähnlich. Leicht zu erzeugen.«
Felicité lachte amüsiert. »Und wie lernt man sich kennen? Also – ich meine, die Königin wird es ja nicht mit ihren Söhnen treiben, das wäre doch Inzest, oder?«
»Beim Hochzeitsflug. Die Königin macht einmal in ihrem Leben einen Ausflug, bei der Gründung der Kolonie. Da begegnen sich die Schwärme, und sie wird von zig fremden Männchen begattet. Deren Sperma speichert sie. Das reicht für ihre gesamte Regierungszeit.«
»Eine Horde Samenspender. Und eine Orgie zur Krönungsfeier.«
»Das kann man so sagen.«
»Merkwürdige Viecher«, urteilte Felicité.
»Insekten sind ziemlich anders als wir.« Ich nickte.
»Und was reizt dich daran?«
»Jemand hat mal gesagt, Insekten seien maskierte Wesen, sie würden nicht zeigen, was sie sind«, sagte ich. »Sie haben kein Gesicht, so wie andere Tiere, und dazu noch die Fähigkeit, sich zu verwandeln. Mit den meisten Tieren kann man sich ja identifizieren, sie sind auf eine Art wie wir. Aber Insekten bleiben einem fremd. Ein Insekt ist mindestens zwei Tiere, die Larve und das Imago. Ich finde das interessant. Ich bin nicht sicher, ob es erstrebenswert ist, immer derselbe zu bleiben.«
»Du bist ein komischer Kerl«, sagte Felicité.
Felicité und ich, wir waren Pfadfinder, Hänsel und Gretel. Zusammen ausgezogen, das Fürchten zu lernen, wie sich gezeigt hatte. Und nachdem wir mitten im Urwald gelandet waren, hätte sich alles Mögliche ereignen können. Aber um Felicité war eine Aura, die mich daran hinderte, sie wirklich zu begehren. Bis auf den einen Moment, in dem sie bewusstlos gewesen war, da hätte ich es beinahe in die Tat umgesetzt. Sie war noch immer sehr schön, ihre schlammverschmierten Jeans und das dünne T-Shirt betonten das noch, sie sah aus wie ein Model, das man für ein Casting mal ein bisschen in den Dreck geschickt hat, um den Kontrast herauszuholen. Ein anderer Mann als ich hätte es einfach noch einmal probiert. Und vielleicht hätte sie auch nichts dagegengehabt, wer weiß. Aber ich probierte es nicht noch einmal. Vielleicht verband ich ja Sex mit Zivilisation. Zumindest war ich das so gewöhnt. Man geht in ein Lokal, trinkt ein Glas Wein, man geht in ein Badezimmer und danach in ein Schlafzimmer. Lea hätte vielleicht behauptet, dass ich die Hosen voll hatte und deshalb im Urwald zu mehr als zum blanken Überleben nicht in der Lage wäre. Aber das glaube ich nicht.
Unser Feuer brannte, die feuchten Äste darin zischten. Aus dem Unterholz stieg die Dämmerung auf, und die Dschungelbewohner fingen pünktlich damit an, ihre Flügeldecken aneinanderzureiben und ihre Hautmembranen vibrieren zu lassen. Sie hatten mit dem Begehren keinerlei Probleme. Felicité und ich tranken das letzte Wasser aus unseren Evianflaschen und aßen die letzten Kekse auf. Es hatte keinen Sinn, sparsam zu sein.
Anschließend krochen wir unter den Stimmen der Dschungelbewohner, die
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