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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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um uns herum ihren stereotypen Lärm veranstalteten, zusammen in die Hütte und schliefen ein, brüderlich und schwesterlich. Irgendwann klangen die Geräusche dort draußen, als hörte ich ein fernes Rockkonzert. Ich war sehr froh, als ich zwei- oder dreimal nachts erwachte und nur Felicités ruhigen Atem hörte, nichts sonst, das etwas Größeres ankündigte als einen Gliederfüßler.

ZEHN
    Als die Sonne aufgegangen war, erwachte ich. Ihre Strahlen drangen durch die Ritzen im Dach unserer Rundhütte, der Eingang war in Licht getaucht. Ich hatte großen Hunger. Felicité war nicht da. Ich zwängte mich nach draußen. Das Feuer, das unser Schutz gewesen war, rauchte schwach vor sich hin. Draußen begrüßte mich der juchzende Vogel. Er schien das Tagesgeschäft zu beherrschen, zusammen mit dem anderen, der knarren konnte, und einem weiteren, hinzugekommenen, der täuschend das Geräusch imitierte, das beim Platzen einer Kaugummiblase entsteht. Allerdings zehnmal in rascher Folge hintereinander. Falls es sich überhaupt jedes Mal um Vögel handelte. Ich rief Felicités Namen. Über mir platzten ein paar Kaugummiblasen. Sonst antwortete mir nichts und niemand.
    Ich durchmaß unseren taktischen Radius, damit gelangte ich an die Kante des ehemaligen Bahndamms und stieß dort auf eine Phalanx armdicker Jungpflanzen, die entschlossen ihren Standort behaupteten. Ehe ich vollends verzweifeln konnte, hörte ich sie.
    »Bern’!«, rief Felicité von irgendwoher.
    Erleichterung durchströmte mich, ich holte zum ersten Mal heute Morgen richtig Luft. Noch einmal kam ein »Bern’!«.
    Es klang so tröstlich wie früher zu Ferienbeginn, wenn meine Mutter mich zum Mittagessen herunterrief, nachdem ich das Frühstück verschlafen hatte. Felicité trat aus einer Lücke im Dickicht, die ich gar nicht gesehen hatte. Erzählte außer Atem, dass man ein Stück auf dem Damm entlanggehen könne. Es wäre nicht unmöglich. Ab und zu gebe es Gassen, durch die man weiterkönne. Wir hätten eine Chance, hier wegzukommen.
    »Aber es wird dauern«, sagte sie. »Wir brauchen auf jeden Fall zuerst Wasser und was zu essen.«
    Fürs Erste würden wir bei der Hütte bleiben, beschlossen wir. Würden ständig ein Feuer unterhalten, damit man den Rauch aus der Luft sehen konnte. Und wir würden so lange in der Nähe des Flugzeugs bleiben, bis wir eine Nahrungsquelle hatten. Erst dann konnten wir den Versuch wagen, durch den Wald zu gehen.
    »Wir müssen die Gegend erkunden«, sagte Felicité. »Wir haben noch keine Ahnung, wie es hier ist.«
    »Du hast doch im Regenwald gelebt«, wandte ich ein, »das hast du mir jedenfalls erzählt.«
    »Auf Martinique ist es anders. Der Wald ist nicht so dicht wie hier. Es gibt dort überall Wege aus der Zeit der Plantagen. Du kannst gemütlich in Sandalen darauf gehen, es gibt nicht mal giftige Schlangen und kaum giftige Insekten. Man kann das hier nicht mit Martinique vergleichen.« Sie machte eine Rundumbewegung mit ihrer Zigarette. »Dort läufst du herum wie in einem Gewächshaus. Ein paar Mückenstiche kannst du dir holen, das ist alles.«
    »Wo hast du gelebt?«
    »Meine Eltern hatten auf Martinique ein kleines Restaurant, oberhalb von St.   Pierre, am Mont Pelé. Du würdest es vielleicht einen Imbiss nennen. Man brät Putenflügel auf dem Grill, trinkt ein Bier aus dem Kühlschrank oder einen Rum mit Ananas, hört Musik aus dem Radio. Es wird früh dunkel, man trifft sich abends. Das Leben ist nicht kompliziert in der Karibik.«
    »Aber auch nicht ungefährlich, oder?« Ich deutete auf die Narbe an ihrer Lippe.
    »Du möchtest wissen, wo ich das herhabe?«
    Ich nickte.
    »Na gut. Ich erzähl’s dir. «
    Wir gingen zurück zur Hütte, trugen die Evianflaschen mit unserem Wasservorrat in die Sonne, damit sie weiter die Mikroben darin abtötete, und setzten uns ans Feuer in den Schatten.
    »Ich war siebzehn, und ich hatte einen Freund, Jaques. Wir gingen tanzen, waren unterwegs mit unserer Clique, saßen abends am Strand. Irgendwann erzählte mir Jaques, seine Großmutter gehe in ›die Sitzungen‹, so drückte er es aus. Er wollte mal mit mir hingehen, in so eine Sitzung. Meinen Eltern erzählte ich davon nichts, sie hätten es mir verboten, aber natürlich ging ich mit ihm. Die Sitzung fand in der alten Methodistenkirche statt, die nicht mehr benutzt wird, weil es keine Methodisten mehr auf der Insel gibt. An diesem Abend hatte man überall in der Kirche Kerzen angezündet, hundert kleine Teelichter, mir

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