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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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kam es vor wie eine Weihnachtsfeier. Jaques’ Großmutter begrüßte uns, sagte uns, wo wir uns hinsetzen sollten. Dann verschwand sie, sie war sehr beschäftigt. Ein paar alte Männer probierten an ihren Trommeln herum. So ein einschläferndes Tom-Tom. Ich döste vor mich hin und dachte: Wie langweilig, so ein Alte-Leute-Treffen. Und irgendwann gackerte es von der Tür her. Dann war da nur noch eine einzelne Trommel, wie der Herzschlag des armen Hahns, den einer der Männer an den Beinen gepackt hielt. Ich war schockiert, als ich sah, wie er ihm auf einem Holzblock kurzerhand den Kopf abhackte. Der kopflose Hahn versuchte loszuflattern und wurde an den Beinen wieder heruntergeholt. Danach machte ich für eine Weile die Augen zu, weil ich spürte, wie mir schlecht wurde.«
    Ich sah in den Wald hinein, der uns ohne Lücke umgab. Schon wieder ein Huhn, nein, ein Hahn, aber das machte keinen großen Unterschied. Der Dschungel ringsum wirkte kompakt, sehr anwesend. Er saugte die stellare Energie auf, wuchs in die Höhe, fiel zu Boden und verfaulte. Nichts war von menschlichem Maß, außer der primitiven Hütte, vor der wir saßen. Ein Anblick, wie man ihn auch hätte haben können, wenn man beim Auftritt der ersten Menschen vorbeigekommen wäre, vor fünfzig- oder hunderttausend Jahren. Die Zeit spielte an diesem Ort keine Rolle, alles kehrte immer wieder. Die Giulianis hätten ohne Weiteres zweitausend Dollar dafür bezahlt, wenn sie einen Tag mit uns hier hätten verbringen können.
    »Kurze Zeit später kam ein alter Mann«, fuhr Felicité fort, »derselbe, der vorher die Machete geschwungen hatte, und gab mir ein Glas, in dem etwas zu trinken war. Ich dachte, Jaques hätte seiner Großmutter gesagt, es gehe mir nicht gut, und sie würde mir einen Rum bringen lassen. Es schmeckte so merkwürdig, dass ich das Glas gleich wieder wegstellen wollte, aber der Alte sagte, ich solle es austrinken, und in Gottes Namen tat ich es. Dann fingen alle Trommeln gleichzeitig an, und ich ging mit den Leuten auf die Tanzfläche, vielleicht würde es mir helfen, mich zu bewegen. Wenn ich gewusst hätte, was ich da getrunken hatte, wäre ich wahrscheinlich sofort auf die Toilette gerannt, um es wieder loszuwerden, aber ich hatte keine Ahnung. Ich dachte immer noch, ich befände mich unter normalen Leuten, meinen Nachbarn, verstehst du?«
    Felicité griff nach der Zigarettenpackung, legte sie aber wieder auf den Boden, es waren nur noch wenige Zigaretten übrig.
    »Ich versuchte also zu tanzen. Auf einmal hatte ich das Gefühl, ich könnte die Lautstärke der Trommeln mit meinen Bewegungen steuern. Das Zeug, das ich getrunken hatte, breitete sich in meinem Innern aus, ich konnte fühlen, wo es war. Zuerst wurde ich immer dicker, als wäre ich ein Ballon, dann bekam ich das Gefühl, mein Körper würde sich in der Mitte teilen wie eine Sanduhr. Ich musste den Trommeln folgen. Sie führten mich zu einer der alten Frauen. Auf ihrem Kopf hing das tote Huhn. Sie trug es wie einen bizarren Hut, und sie drehte sich langsam mit geschlossenen Augen im Kreis. Ihr runzliges Gesicht mit den wie schlafend geschlossenen Augen. Die Hände, die sie wegstreckte, das Fett auf ihrem Körper, das im Rhythmus der Trommeln zitterte. Das Hühnerblut lief über ihr Gesicht. Sie streckte die Hände aus und berührte mich. Ich konnte es nicht verhindern.«
    »Ich glaube, ich möchte jetzt eine Zigarette«, sagte ich. Felicité klopfte für mich eine aus der Packung. Ich zog sie heraus.
    »Sie haben dir Drogen gegeben, oder?«
    »Das haben sie allerdings«, sagte Felicité. »Die Alte hatte plötzlich ein Tiergesicht. Mit Knopfaugen, einer platten Nase und großen, wachsamen Ohren. Das Gesicht einer Fledermaus. Und ihre Finger, sie taten etwas mit mir, sie krochen in meine Stirn hinein. Ich konnte nichts dagegen tun. Was immer sie mit mir machte, es ging schnell. Die Finger lösten sich wieder von meinem Gesicht. Von da an weiß ich nichts mehr.«
    Felicités Miene wirkte so gelassen, als lese sie einem Kind eine Gutenachtgeschichte vor. Sie lächelte mich an und fuhr fort.
    »Ich wachte schließlich im Freien vor der Kirche auf, wo Jaques mir einen kalten Lappen auf die Stirn drückte. Ein paar Tage nach dem Fest ging ich nach dem Nachmittagsregen durch die Bambushaine. Ein großer grüner Leguan kreuzte meinen Weg und starrte mich einen Moment lang an. Wäre ich nicht stehen geblieben, hätte ich die Gardenienblüte nicht bemerkt, die in der Astgabel eines

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