Gabun - Roman
überschlagenes Ergebnis kam heraus, dass man einen eigenen Saal im Museum dafür hätte ausrüsten müssen.
Beeindruckt flanierte ich weiter an den Terrarien vorbei. Blieb stehen, um einer Rotte Raubkäfer zuzusehen. Sie schubsten sich gegenseitig weg von kleinen Fleischstücken, an denen sie mit ihren metallisch glänzenden Zangen rissen, ihre Panzer klackten gegeneinander wie kleine schwarze Billardkugeln. Wurde einer umgeworfen, drehte er sich geschickt wie ein Judokämpfer wieder herum und ging dem anderen an die Beine. Sie schafften es, das Fleisch aufzufressen, noch während sie sich darum prügelten. Aus einem anderen Glaskäfig starrte ein »Wandelndes Blatt« mit leeren Facettenaugen heraus wie ein böser Geist, perfekt getarnt, und schaukelte langsam hin und her. Das Schaukeln beschwor einen nicht vorhandenen Wind – vielleicht versuchte die Heuschrecke auch, einen möglichen Gegner mit ihrer Horrormaske zu hypnotisieren.
Nachdem ich mich von dem »Wandelnden Blatt« abgewandt hatte, machte ich einen Fehler. Ich schlenderte in die Schlangenabteilung hinüber. Sie befand sich im angrenzenden Raum, ich dachte mir nichts dabei. Vage erinnerte ich mich daran, dass die Anakondas in Südamerika lebten, die zuständige Riesenschlange der Alten Welt war der Python. Sie hatten auch einen da. Ich trat näher, sah, dass der Python, wie bei Riesenschlangen üblich, bewegungslos nach Art eines zusammengerollten Gartenschlauchs in einer Ecke seines Abteils lag und energiesparend schlief. Nicht aufregend, entschied ich und wandte mich ab.
Ich passierte noch ein paar Terrarien, in denen man sich bewegungslos verharrende Reptilien hätte ansehen können, dazu hatte ich aber keine Lust. Ich wollte die Abteilung schon verlassen, da wurde ich auf das Schild eines kleinen Terrariums aufmerksam: »Gabunviper« stand dort. Aha, dachte ich, Gabun! Ich näherte mein Gesicht der Scheibe. Nichts drin. Ich schaute auf das Schild. Dort stand: »Verbreitung im tropischen Afrika«. Eine Karte der Erdhalbkugel zeigte einen großen roten Fleck mitten auf dem afrikanischen Kontinent. Daneben ein verblasstes Foto. Darauf sah man den dreieckigen Kopf einer Viper, eine dünne schwarze Linie zog sich durch das lidlose Auge. »Bis zu zwei Meter lang«, las ich und: »Die schwerste Giftschlange der Welt mit den längsten Giftzähnen: fünf Zentimeter«. Das Terrarium war aber nicht größer als höchstens einen Meter. Nur weißer Sand darin, ein flacher Stein lag noch da und ein dürrer Knüppel. Wo war die Gabunviper?
Ich suchte die gewellte Sandfläche ab, Zentimeter für Zentimeter, dann sah ich sie. Sie hatte mich die ganze Zeit durch die dicke Glasscheibe hindurch angestarrt, ihre Augen ragten nebeneinander aus dem Sand wie zwei verlorene Glasperlen. Das Vieh hatte sich komplett eingegraben. Danach verzichtete ich auf einen Besuch bei den Krokodilen und verließ das Reptilienhaus. Ich würde gute, sehr gute Stiefel brauchen.
Am nächsten Tag ging ich wie geplant meine Papiere holen. Das Büro bei Klemm war abgedunkelt, die Rollläden halb heruntergelassen. Alina saß vor dem PC , die langen blonden Haare hatte sie hochgesteckt, sie war geschminkt wie zum Ausgehen, ihre Lippen hatten einen feuchten Schimmer. Sie starrte konzentriert auf den Bildschirm, in ihrem Gesicht wetterleuchteten die Bilder und Nachrichten der gerade angesagten Chatseite.
»Morgen, Alina.«
Alina tippte statt einer Antwort ein paar Buchstaben ein, knappe Sätze. Keine Denkpausen. Fortgeschrittene Bekanntschaft, dachte ich.
»Morgen, Bernd. Du holst deine Sachen«, stellte Alina mit Verzögerung fest, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen. Ihr eingefrorenes Lächeln galt nicht mir, sondern dem virtuellen Gesprächspartner, auf dessen Antwort sie gerade wartete, ihre Finger schwebten raubvogelhaft über der Tastatur, als wollte sie die Buchstaben nicht entkommen lassen.
»Ja«, antwortete ich, ebenfalls kurz bleibend.
Ich hatte gehofft, sie würde mein neues Outfit bemerken. Ich trug ein frisches weißes T-Shirt über meiner neuen sandfarbenen Markenjeans und hatte mir mein leichtes beiges Baumwollsakko – tropentauglich – über die Schulter geworfen. Ich fand, ich sah ein bisschen aus wie Leonardo DiCaprio. Ein bisschen.
»Deine Sachen«, Alina tippte, »liegen hier auf dem Tisch.«
Sie klopfte auf eine Klarsichthülle neben der Tastatur. Mit der anderen Hand schlug sie sich auf die Lippen und lachte leise. Über eine geistreiche Antwort des virtuellen
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