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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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schließlich hungerten immer mehr Bürger. Die Stütze war auch viel zu knapp, um teuren Fisch zu kaufen, obwohl Fisch als sehr gesund gilt. Die armen Kois. Zu zutraulich gewesen. Nicht ratsam, jedem die Finger abzuküssen in einer Stadt wie Berlin.
    Ich betrat die von zwei Palmen flankierte Halle durch eine schwere Glastür. Als sie sich hinter mir schloss, fand ich die Temperatur erträglich, es war genauso heiß wie draußen auf der Straße, nur etwas feuchter. Viel feuchter, stellte ich fest, als sich große Flecke unter meinen Achseln gebildet hatten.
    Ich schlenderte unter Gummibäumen und mir unbekannten Palmenarten hindurch. Knorrige Äste streckten sich mir entgegen, harte, wie poliert aussehende Blätter wuchsen daran. Vitale Pflanzen, die bereit waren für besondere Herausforderungen, für den Anprall der Sonnenstrahlung in den Tropen, das unerbittliche Ringen um Licht im Dämmer des Dschungels. Ein paar Heimchen piepsten im Hintergrund. Ein klein wenig Abenteuerlust begann in mir zu keimen. Ein Riesenfarn, so groß wie ein Sonnenschirm im Straßencafé, breitete seine Wedel aus, ich schritt darunter hindurch. Auf der Beschreibung stand allerdings »Karibik«, also würde ich dem nicht begegnen. Dafür erinnerte ich mich jetzt zunehmend an Sachverhalte, über die ich etwas im Studium gelesen hatte. Mein Gedächtnis kann eine Menge speichern, nur die Verfügbarkeit ist ein wenig eingeschränkt; manchmal komme ich mir beim Nachdenken vor wie jemand, der am Gepäckband im Flughafen steht und auf seinen Koffer wartet. Aber jetzt fiel mir eine Menge ein.
    Dass die Habitate in der Äquatorialregion eine Unzahl von Insektenarten beherbergen, zum Beispiel. Sie haben ideale Bedingungen, keinen Winter, die Lebenszyklen werden nicht von Kälte bedroht, Fortpflanzung ohne klimatische Hindernisse. Das Hamsterrad der Natur läuft für Kerbtiere in den Tropen ohne Pause. Sie produzieren eine enorme Biomasse, die Wirbeltiere könnten blass vor Neid werden. Und ein Viertel davon bringen allein die Ameisen auf. Indem sie raffiniert organisierte Staaten entwickeln, von denen andere Ameisenvölker durch Raub und Überfälle als Schmarotzer leben und sich entführte Ameisen als Sklaven halten, die für sie arbeiten müssen.
    Die Pilze züchtenden Blattschneiderameisen fielen mir ein, die den Tropenreisenden früher so gut gefallen hatten, weil sie brav in einer Reihe hintereinander ihre Blattstückchen über dem Kopf trugen und sich dabei exakt so benahmen wie die halb nackten schwarzen Boys auf Safari, die ich als Bub im Zigarettenalbum meines Großvaters bewundert hatte. Ein paar Bilder hatten in dem Album leider gefehlt, waren schon herausgerissen worden. Aber an einige der verbliebenen konnte ich mich ganz gut erinnern. Es gab eine Kakaoplantage in Südwestafrika mit einem berittenen Aufseher davor, der einen Tropenhelm trug, man sah steif dastehende Pygmäen neben Stapeln von Elefantenstoßzähnen, spitzbrüstige Frauen mit schlanken Hälsen und vorgewölbtem Bauch, die Arme voller Metallreifen. Einen abweisend blickenden Massai mit Speer und Schild. Das Album war längst weg, vermutlich auf dem Sperrmüll gelandet, wie die anderen Sachen von Opa. Als er gestorben war, hatte meine Mutter darüber gejammert, dass das Haus voller Gerümpel gewesen wäre, danach darüber, dass man in Mecklenburg kein Haus verkaufen könne, man müsse es wohl verschenken. Ich ließ das zugehörige Gedankengepäck auf dem Band weiterkreisen und wandte mich dem nächstgelegenen Terrarium zu.
    Darin befand sich ein grüner Klumpen vom Format eines Tagesrucksacks. Er hing von einem Ast herunter. Der Klumpen waberte, als würde er schmelzen, grüne Tröpfchen fielen herab. Als ich mich vorbeugte, erkannte ich eine Unmenge Beinchen, Flügel und Fühler. Der Klumpen bestand aus frisch geschlüpften Stabheuschrecken, und er führte eine langsam rotierende Bewegung aus, die dadurch zustande kam, dass die kleinen Stabheuschrecken versuchten, an etwas Fressbares heranzukommen, und ständig feststellten, dass sie sich nicht gegenseitig fressen konnten. Immer wieder fielen ein paar Dutzend herunter, das war das, was ich für Tropfen gehalten hatte. Kein einziges Blatt befand sich mehr im Terrarium, nur noch blank geputzte Äste, die aussahen, als habe man sie in ein Sandstrahlgebläse gehalten. Ich überlegte, wie groß und wie schwer der Klumpen werden würde, wenn die Heuschrecken ihre endgültige Größe von acht Zentimetern erreicht hätten. Als

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