Gabun - Roman
Spiegel, diesmal sah ich rein, machte eine Grimasse. Bernd Jesper, für längere Zeit nicht in Berlin, unbestätigten Meldungen zufolge nach Afrika abgereist. Anschließend probierte ich: Verkrachter Student bei dubiosem Projekt in Gabun ums Leben gekommen, die Landesbehörden ermitteln. Und: Berliner Biologe übernimmt nach kurzer Einarbeitungszeit naturnahe Edellodge in Afrika. Interessiert keinen, entschied ich.
Ich zog mich aus und suchte die Duschkabine auf. Unter der Brause überlegte ich, was noch getan werden müsse. Meine Eltern anrufen, nacheinander, wen zuerst, ließ ich offen. Wasser lief über mein Gesicht, ich drehte den Kopf in den Nacken, ließ es über meine Haare strömen, stellte mir meinen Vater am Telefon vor, wie er das ihm mögliche Interesse aufzubringen versuchte und nacheinander die abkürzenden Kernfragen stellte: Was machst du gerade, wie weit ist deine Promotion, und Lea, wie geht’s ihr? So viel Aufmerksamkeit würde er investieren, um mir anschließend eine halbe Stunde lang vorzujammern, was alles gerade schieflief in seinem Leben und wer dafür verantwortlich war. Damit würden wir das restliche Telefonat zubringen.
Meine Mutter würde erst gar keinen Interessensbonus einrichten und gleich mit Vorwürfen anfangen. Erstens, warum ich mich monatelang nicht gemeldet hätte, zweitens, wieso ich mein Studium nicht endlich fertigbekäme, drittens, was in drei Teufels Namen ich in Afrika wollte. Nach Lea würde sie sich gar nicht erst erkundigen, die beiden vertrugen sich nicht. Waren sich zu ähnlich, meine Mutter war der Ansicht, Lea tue mir nicht gut. Vielleicht hatte sie recht. Das Wasser glättete meine Haare wie einen nassen Helm, lief über meine Schultern, wo es sich in Perlen verwandelte, ohne eine einzige Frage an mich zu stellen. Es feite mich, je länger ich unter der warmen Dusche stand, desto mehr. Natürlich wollte ich auch Lea noch mal anrufen, ein allerletztes Mal. Mit gefasster Stimme zwei, drei ausgewählte Sätze auf ihre Mailbox sprechen: eine Auszeit nehmen, ein guter Job im Ausland, vieles eingesehen, hoffe auf ein Gespräch nach meiner Rückkehr. Ich stellte die Brause ab. Im gleichen Augenblick begriff ich, dass ich niemanden anrufen würde. Ich erkannte, dass ich wortlos gehen konnte, einfach verschwinden. Wie die Kois aus dem Aquarium, die niemanden mehr küssten.
Diese Idee kam mir, während ich mich abtrocknete, so attraktiv vor, dass ich mich anzog, mein ganzes Geld in die Tasche schob – zur Sicherheit – und mit nassen Haaren hinunter in die Hotelbar ging, in der kein Mensch saß. Das störte mich nicht, weil meine Gedanken noch auf der Spur der Wassertropfen waren, die mir erlaubt hatten, keine Erklärungen mehr abzugeben, einfach zu schweigen.
Die Wassertropfen manifestierten sich nach kurzer Wartezeit in Form eines schön gezapften Pils, das vor mich hingestellt wurde. Sie liefen, Kühle verheißend, an der Außenseite des Glases herunter, und sie hatten sich in eine wolkenweiße Schaumkrone obendrauf verwandelt. Feine Bläschen stiegen vom Boden des Glases nach oben, das Bier erschien mir wie ein kleiner Kosmos, eine einfache, physikalisch transparente Angelegenheit, deren Gesetzmäßigkeiten man problemlos studieren konnte, während man davorsaß. Ich trank das Glas aus. Das erste Bier nach dem Duschen hat was.
Beim zweiten Pils, das der schweigende Pakistani hinter dem Tresen mit einem rätselhaften Lächeln vor mich hinstellte, fiel mir ein, dass ich als Kind mal einen kleinen Teufel besessen hatte, der in einer Limoflasche mit Hilfe der Bläschen nach oben steigen konnte. War er an der Oberfläche angelangt, perlten alle Bläschen von ihm ab, und er sank wieder nach unten, bis er wieder genug gesammelt hatte, um nach oben zu kommen, einen Mantel aus Silber um sich, als habe er die Taschen voller Geld, bloß um es wegzuwerfen, wenn er oben angekommen war. So und nicht anders, dachte ich, würde mein Leben jetzt sein. Nach dem dritten Pils bezahlte ich und ging schlafen. Man solle mich um acht Uhr wecken, hinterließ ich an der Rezeption.
ZWEI
Als sich das Flugzeug auf das Meer hinuntersenkte, um zum Landeanflug auf Libreville anzusetzen, war ich zuversichtlich. Wessing döste neben mir, den Gurt vorschriftsmäßig um die Wampe gelegt. Sein Schnarchen, eher zart für einen so kräftigen Mann, mischte sich mit dem Dröhnen der Turbinen, zu denen gerade das Sausen der Landeklappen dazugekommen war. Der Blick durch das Fenster zeigte mir ein paar
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