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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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Familienfrage positiv beantworten können. Es sollte noch lange auf den Straßen entlangrumpeln dürfen, so lange, bis keiner mehr Lust haben würde, an ihm herumzuschweißen.
    Mit meiner Barschaft ausgestattet, konnte ich die letzte Nacht im Hotel verbringen. Ich stieg am Savignyplatz aus und schlenderte durch Charlottenburg. Nicht um Lea zu sehen, nein. Ich hielt mich ein ganzes Stück entfernt von ihrem Hotel, auch die Bleibtreustraße mied ich. Ich trieb mich lediglich ein wenig in der Gegend herum, vielleicht traf ich sie zufällig auf der Straße, warum auch nicht? Hey, das ist ja ein Zufall, würde ich sagen, an meinem letzten Tag in Berlin! Weißt du, wo ich morgen nämlich hinfliege? Nach Gabun! Ich hab ein tolles Angebot bekommen, als Biologe in einem Wildpark, wir arbeiten direkt mit der Regierung zusammen, unter anderem für Greenpeace und GEO . Lass uns einen Kaffee trinken, ich erzähl’s dir. Na ja.
    Vor einem Antiquariat in der Knesebeckstraße blieb ich stehen. Mir war eingefallen, dass ich was zu lesen brauchen würde. Keine Philosophie, was Unterhaltsames. Für die halbe Stunde vor dem Einschlafen, für die Siesta. In heißen Ländern, wusste ich, zog man sich gern am Nachmittag eine Stunde zurück, um abends dafür länger aufbleiben zu können. Und in diesem Wildpark würde ich sicher eine gemütliche Hütte haben, ein Bett darin mit Moskitonetz, auf dem würde ich liegen und lesen, während der Siesta oder vor dem Einschlafen, und würde dem Zirpen der Zikaden zuhören unter dem Himmel Afrikas.
    Ich betrat den Laden und fragte den Besitzer – den ich lesend antraf, was mich rührte; bei so vielen Büchern noch immer nicht genug gekriegt vom Lesen! –, ob er ein Buch über Afrika habe. Ein englisches Buch, ergänzte ich, weil mir eingefallen war, dass mein an sich passables Englisch, das längere Zeit ungesprochen geblieben war, eine Politur vertragen konnte. Der Antiquar legte sein Buch weg und sah mich zwei Sekunden lang mit einem verloren wirkenden Blick an, weilte vielleicht noch in der gerade gelesenen Geschichte.
    »Warten Sie mal«, sagte er dann.
    Er verschwand in einer der Bücherschluchten. Während ich auf seine Rückkehr wartete, hatte ich Zeit, mir Gründe dafür auszudenken, weshalb ein Antiquar lesend in seinem Geschäft sitzt. Zum Beispiel weil niemand kommt und etwas kaufen will, außer jetzt gerade. Der Antiquar kam mit einem kleinen Taschenbuch zurück und legte es vor mich auf den Tisch.
    »›Herz der Finsternis‹«, sagte er. »Von Joseph Conrad. Auf Englisch, eine Penguin-Ausgabe, gut erhalten. ›Heart of Darkness‹ also, in diesem Fall. Ein Euro.«
    Ich nahm das abgestoßene Buch in die Hand. Ein Euro, das schien mir gut angelegt. Von dem Buch hatte ich gehört. Weil ich nett zu dem Antiquar sein wollte, die Vermutung schlecht gehender Geschäfte noch im Sinn, fragte ich ihn, worum es in dem Buch denn gehe, während ich einen Euro aus meiner Börse holte und ihn auf den Tisch legte. Gutes Geld für gutes Buch, ein blanker Taler für das Herz der Finsternis. Der Mann, Nickelbrille, Glatze – das Antiquariat hieß »Biber«, und ich stellte ihn mir eine Sekunde lang als bücherfressenden Nager vor, das klappte auch, er hatte so eine Statur –, der Mann also sagte mit einem Lächeln, das ganz normale Vorderzähne bloßlegte:
    »Es geht darum, dass man nie wissen kann, was in einem steckt.«
    »Bevor man es probiert hat, oder?«, ergänzte ich höflich.
    »Genau. Darum geht es.«
    Die Brille des Mannes glitzerte. Nicht zu entscheiden, ob überheblich oder freundlich, seine Augen blieben hinter dem Glitzern verborgen. Fische in zugefrorenen Tümpeln. Ich steckte das Buch in meine Reisetasche und verließ den Laden.
    Eine Viertelstunde später nahm ich mir ein Zimmer im »Odeon«, einem der billigeren Hotels in der Gegend. Ich stieg in den verspiegelten Aufzug, dort nahm ich keinen Blickkontakt zu mir auf, ich hatte mir nichts mitzuteilen. Bei Begegnungen in Aufzügen ist Schweigen angesagt, man schaut auch besser nicht in den Spiegel, das Licht kommt von oben, und das ist sehr unvorteilhaft. Man sieht bescheuert darin aus. Im Zimmer stellte ich meine Tasche auf das dafür vorgesehene verkratzte Resopaltischchen. Sah mich in dem winzigen Raum um.
    Auf Reisen, dachte ich. So ist das, wenn man aufbricht. Risse in den Tapeten, es roch nach Neutralreiniger und ein bisschen nach Schimmel. Auf dem gemachten Bett lag eine winzige Schokoladentafel, wie zum Hohn. Und wieder ein

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