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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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offensichtlich in Stein verwandelt.
    Alles ging genau so weiter, wie Wessing es angekündigt hatte. Vor dem Ausgang winkte unser Begleiter ein dunkelblaues Auto heran, ich stieg mit Wessing zusammen ein, und wir fuhren los. Ein schweigender Mann mit sehr schwarzer Haut, körniger Glatzenrasur und einer Ray-Ban-Sonnenbrille wie ein schwarzer Cop in einem alten amerikanischen Film chauffierte uns. Er startete mit lässigem Aufquietschen der Reifen und schoss in den quirligen Verkehr hinein, dort führte er uns kühne Spurwechsel vor, bei denen er gekonnte Beschleunigungs- und Bremsmanöver vornahm. Durch die getönten Scheiben drang das Hupen der zur Seite gedrängten anderen Verkehrsteilnehmer nur gedämpft herein. Die Klimaanlage arbeitete auf Hochtouren, ich fror erbärmlich in meinem kurzärmeligen Baumwollhemd. Niemand sagte etwas. Der Fahrer konnte sich meiner Aufmerksamkeit für sein Können ohne Abstriche gewiss sein. Nur Wessing döste vor sich hin, wie er es bereits im Flugzeug getan hatte; er besaß die Fähigkeit, sich abzuschalten, seinen Organismus auf Sparprogramm zu setzen, Soldaten oder Gefängnisinsassen, heißt es, lernen so etwas. Es wirkte nicht kränkend bei ihm, er war da und doch nicht da. Und ich starrte schweigend aus dem Fenster. Niemand hielt sich an irgendwelche Vorschriften, trotzdem wurde Straßenverkehr daraus. Ich musste schließlich doch eingenickt sein; ich erwachte, als sich die Wagentür öffnete und mich eine warme Mischung aus Abgasen und Fäkaliengestank überrollte, gleichzeitig drehte der Straßenlärm auf volle Lautstärke hoch.
    Wir stiegen aus. Hinter Wessings breitem Rücken stolperte ich auf ein mehrstöckiges Gebäude zu, vor der breiten Treppe posierte rechts und links je ein hitzeunempfindlicher Soldat mit Stahlhelm und einem Sturmgewehr vor der Brust, reglos, aber vielleicht waren es auch gut gemachte Puppen. Ich vergaß, den Schriftzug zu lesen, der sich an der Front des Gebäudes befand, dafür war es zu heiß. Nachher erfuhr ich, dass es sich um das Landwirtschaftsministerium gehandelt hatte.
    Neben dem unbeirrt voranstrebenden Wessing kam ich mir vor wie ein Kind, das zum ersten Schultag begleitet wird. Wir passierten eine verglaste Portiersloge, hinter der spiegelnden Scheibe sah ich einen Mützenschirm, dem Wessing jovial zuwinkte, als Antwort erschien eine Hand neben der Mütze. Das Treppenhaus war menschenleer, das Gebäude wie ausgestorben, wir trafen niemanden an. Im zweiten Stock bat Wessing mich um meinen Ausweis und mein Flugticket. Er bedeutete mir, mich auf einen der Plastiksessel im Flur zu setzen, er werde unsere Angelegenheiten erledigen. Wenn er mich benötige, käme er wieder. Dankbar ließ ich mich in den Sessel fallen. Ich war sehr müde.
    Die Klimaanlage röchelte vor sich hin wie ein Sterbender. Mir war schon wieder kalt. Ich schaute auf die kubistischen Drucke an den Wänden, auf die orangefarbenen Designersessel in Muschelform, mein Blick rutschte an verworfenen Einrichtungsideen der siebziger Jahre entlang, ohne ihre museale Qualität würdigen zu können. Stattdessen sank mir das Kinn auf die Brust, und ich richtete meinen Blick unwillkürlich hinunter auf die Straße, wo ich eine Gestalt bemerkte, die am Gehsteigrand hockte, ein alter Mann. Ich sah nur den kahlen Schädel und den gekrümmten Rücken.
    Die Gestalt trug ein viel zu großes Unterhemd und eine verblichene kurze Hose, mit den mageren Gliedern und dem kahlen Hinterkopf erinnerte sie mich an einen Moorfund aus einem jungsteinzeitlichen Hockergrab, den ich mal im Museum gesehen hatte, auch die zusammengekauerte Haltung passte. Der alte Mann hielt ein weißes Huhn auf dem Schoß und streichelte es. Mit der anderen Hand warf er etwas auf den Boden, es sah aus wie Muscheln. Immer wieder, ohne die Streichelbewegung zu unterbrechen, sammelte er die Muscheln ein und warf sie aus, mit einer leichten Bewegung aus dem Handgelenk, dabei schaute er in den rasenden Verkehr hinaus, so gelassen, als wäre die Straße ein Urwaldfluss. Ich wiederum starrte durch die bis zum Boden reichenden Fenster auf die Mumie hinunter und auf das Huhn, das sich auf ihrem Schoß zu einer Federkugel zusammengekuschelt hatte.
    Ich konnte nicht wegsehen, ich hatte die Muscheln längst gezählt, die immer wieder auf den Boden fielen und eingesammelt wurden, ohne dass die Gestalt ihre Haltung änderte. Sieben. Es waren sieben Muscheln. Mit jedem Wurf begann ich mehr Furcht zu entwickeln, dass diesmal eine der weißen

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