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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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unter einem Stein hatte verschwinden sehen: gut zwanzig Zentimeter lang, in den Farben eines giftigen Korallenbewohners, so flink wie eine Schabe und so gefährlich wie ein Skorpion. Oder an die verschiedenen Arten nachtaktiver Jagdspinnen, bei denen die kleinen meines Wissens am gefährlichsten waren. Ab und zu streifte das Licht meiner Lampe Farouk. Der hockte auf unserer gemeinsamen Urwaldmatratze und legte im Licht seiner Stirnlampe die Häppchen für unser Abendbrot appetitlich auf einem Bananenblatt zurecht. Bis jetzt hatte ich bloß ein paar einzelne Ameisen am Boden entdeckt. Sie gehörten zu einer mir unbekannten Art, mit Sicherheit waren es keine Treiberameisen, deren mögliche Machenschaften mir klar vor Augen standen. Ich hoffte, dass sie heute Nacht nicht gerade knapp an Nahrung waren und einen ihrer gefürchteten Ausfälle machten oder vielleicht eine neue Königin durch den Wald rollten, in einer lebenden Kugel aus ein paar Millionen aggressiver Soldaten, und dabei auf unsere Hütte stießen.
    »Lass gut sein, Bernd«, brummte Farouk schließlich. Er nahm mir die Lampe aus der Hand und hielt mir stattdessen die Weinflasche hin. »Wir werden die Nacht überleben. Erzähl mir von den Ameisen, du hast mich neugierig gemacht. Von ihrer – wie sagtest du gestern? Genau. Von ihrer Moral.«
    Ich nahm von dem gebratenen Lamm, dazu ein Stück Fladenbrot. Einen Schluck Bordeaux hinterher.
    »Nicht dass sie eine hätten, die Ameisen«, sagte ich. »Eine Moral.«
    »Das hast du doch behauptet.«
    »Ja. Vielleicht haben sie ja eine. Kommt darauf an, was man darunter versteht.«
    Farouks Stirnlampe streifte mich. Ich richtete meine eigene Lampe auf das Dach aus regelmäßig übereinandergeschichteten Blättern. Sie hatten tatsächlich etwas von Dachziegeln.
    »Sie sind natürlich auch nicht intelligent«, tastete ich mich weiter vor.
    »Also, was sind sie denn?«
    »Sie haben so etwas wie ein ökonomisches Konzept. Ein Konzept der Nachhaltigkeit zunächst mal. Ameisen existieren schon sehr lange, hundert Millionen Jahre ungefähr. In dieser Zeit haben sie so ziemlich alles entwickelt, was die Menschheit auch zuwege gebracht hat. Eine Regierung, Kolonien, Kriege, soziale Kasten, Viehzucht, kontrollierten Gartenbau, Wassersysteme, Sklavenhaltung, Soldaten in gesonderten Garnisonen, Friedhöfe.«
    »Du meinst, sie haben das alles gelernt, um so lange zu überleben?«
    »Ja.« Ich fuchtelte mit der Taschenlampe hin und her. »Nein.« Ich schaltete sie aus, hob im Dunkeln die Arme. »Ich glaube nicht an das Überleben durch Anpassung«, sagte ich. »Überleben ist jämmerlich. Die Natur hat für mich nichts Jämmerliches.«
    »Du glaubst nicht an Darwin? Du bist doch Biologe und dazu noch Europäer.«
    Farouk lachte, er schob sich ein Stück kaltes Lamm in den Mund. Ich konnte jetzt nicht mehr zurück.
    »Ich glaube, dass man bei den Ameisen ganz gut erkennen kann, wohin alles führt«, sagte ich. »Das Lebendige, meine ich. Okay, man kann die Ameisenkolonie mit einem Staat vergleichen oder auch mit einem Organismus. Sie funktioniert so, als wäre sie ein großer Organismus. Das Immunsystem sind die Soldaten, die Keimdrüsen stehen für die Königin, die Arbeiterinnen für die Körperzellen. Es gibt sogar einen Substratfluss darin wie bei der Verdauung. Die Arbeiterinnen geben sich nämlich Nährstoffe gegenseitig weiter und hinterlassen überall Pheromone, genau wie Nährstoffe und Hormone in unserem Körper zirkulieren. Dazu brauchen sie natürlich keine Moral, das wird niemand ernsthaft behaupten. Die Moral steckt in der Idee, sie täten solche unglaublichen Sachen, um ihre Gene effizient zu erhalten. Sie steckt in der Vernunft der Wissenschaftler, die denken, man müsse möglichst fit sein, um seine Gene weiterzugeben. Als wenn die Natur ständig dabei wäre, am Genom zu tüfteln, mit dem Ergebnis natürlich, dass wir dabei herausgekommen sind. Und Darwin.« Ich atmete tief aus. Da war ich nun selbst bei meinen Theorien. Jeder Biologe hat eine.
    »Was glaubst du, wenn du nicht an Darwin glaubst?«
    Farouk sah diabolisch aus in seinem Muscleshirt, beschienen vom Oberlicht seiner Stirnlampe, der Schweiß glänzte auf seinen nackten Schultern. Wie ein verschütteter Bergmann in einem Wochenschaubericht aus einem Schwellenland. Er setzte die Weinflasche an und trank.
    »Ich glaube an die Theorie der Verschwendung«, sagte ich. »Nicht an irgendeinen vernünftigen Sinn dahinter oder einen Zweck, der ist bloß menschlich

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