Gabun - Roman
darin einige große Seen, er stellt die Ostgrenze des Kongo dar. Die höchste Erhebung am Rand des Grabens ist das Ruwenzori-Gebirge, das ständig wächst. Der Graben trennt zwei Großhabitate voneinander; als die Berge höher wurden, kamen die Regenwolken irgendwann nicht mehr hinüber. Die Menschheit entstand vor vielleicht zehn Millionen Jahren, unsere Vorfahren haben sich bekanntlich östlich des Grabens entwickelt. Sie mussten sich an die trockenen Savannen anpassen. Der Dschungel westlich des Grabens gehörte den Affen, ihren Brüdern, wenn man so will.«
Farouk grinste. Er hatte unsere Aufmerksamkeit. Ich war neugierig auf seine Theorie.
»Für unsere Vorfahren, die alle mal Urwaldbewohner waren, war das, wenn du eine Metapher möchtest, wie wenn ein Zug abfährt. Sie mussten einsteigen oder dableiben. Na ja, die künftige Menschheit ist eingestiegen und musste sich weiterentwickeln, sie war dem Anpassungsdruck ausgesetzt. Der Dschungel im Westen aber blieb, wie er war. Feucht, grün, undurchdringlich. Viele Millionen Jahre lang. Natürlich sind die Menschen auch dorthin gegangen, sie gehen schließlich überallhin. Man konnte von außen kommen, von Norden, von Süden oder von der Küste, wie die Bantu, das ist ja erst ein paar hundert Jahre her, oder man ging mitten rein, wie die Pygmäen. Aber vielleicht, und das ist der springende Punkt, waren sie auch schon immer dort und haben sich im Wald entwickelt, wer weiß? Interessant ist zum Beispiel, dass sie nur eine einzige Sprache haben, die Bantu haben Dutzende.«
»Michael Fay«, sagte Fox, »hat vor zehn Jahren ganz Afrika von seinem Flugzeug aus fotografiert. Ich habe mir seine Bilder angesehen. Östlich vom Ruwenzori-Gebirge leben sechshundert Menschen pro Quadratkilometer, im Urwald westlich davon vielleicht drei. Das wird nicht mehr lange so bleiben. Es ist wie zu Zeiten des Goldrauschs. Der Wald im Kongo ist ein gesetzloses Land, in dem Desperados und Barbaren das Sagen haben. Ihre Holzfällertrupps holen heraus, was sie am besten verkaufen können. Sie benehmen sich wie früher die Weißen. Heute sind sie die Speerspitze der sogenannten Zivilisation, die das Ende der afrikanischen Wälder einläutet. Wenn wir es zulassen.«
Fox betrachtete einen Moment lang die Fingerknöchel an seiner geballten Faust und atmete langsam aus. »Michael Fay hat übrigens damals seine Fotos auch dem Präsidenten von Gabun gezeigt, Omar Bongo und seinem gesamten Kabinett, als Bongo gerade mal zu Hause und nicht in Paris war. Der Präsident war so beeindruckt von der Schönheit Gabuns, dass er daraufhin gleich ein Dutzend Gebiete zu Nationalparks erklärt hat.«
Jetzt hätte eigentlich jemand Beifall klatschen müssen. Stattdessen räusperte ich mich anerkennend, die Luft war auch ziemlich feucht. Fox und Farouk sahen ein wenig verlegen aus, so wie Leute, die gerade etwas Wichtiges gesagt haben. Wessing war aus der Hütte herausgekrochen, die er ausprobiert hatte, kam mit ungutem Faltenwurf im Gesicht auf die Beine und reckte demonstrativ entspannt die Arme. Mit seinem feinen Gefühl für Takt sagte er in die schweigende Runde hinein, es wäre langsam Zeit aufzubrechen. Fox nickte, schloss sich an. Sie schulterten ihre leeren Rucksäcke. Über Wessings breitem Rücken sah ich eine kleine Staffel Mücken auf- und abschweben. Kurz darauf waren sie im Wald verschwunden. Ich, ihnen nachschauend, fühlte mich verlassen.
Der Wein, den Farouk mitgebracht hatte, versöhnte mich ein wenig mit der bevorstehenden Nacht. Wir saßen auf der Bank vor den Hütten und reichten uns die Flasche. Zwischen zwei Schlucken Bordeaux kam die Dämmerung. Ohne Ankündigung und so schnell, als habe jemand den Wald in einen Sack gesteckt. Farouk schlug vor, sich in eine der Hütten zurückzuziehen, eine Lampe im Freien werde unweigerlich die Mücken anlocken und alles andere, was mehr als vier Beine habe. Seitdem es dunkel geworden war, hatte sich die Geräuschkulisse um einiges gesteigert. Es zirpte und keckerte aggressiv auf eine Weise, wie man es tagsüber ganz und gar nicht zu hören bekommen hatte. Die Laute tausender paarungswilliger Lurche und Insekten gaben dem finsteren Wald eine andere Dimension, er war größer und lebendiger geworden als am Tag, wesentlich lebendiger.
Nachdem ich hinter Farouk in unsere Blätterhütte hineingekrochen war, leuchtete ich erst einmal die Wände und den Boden ab. Ich dachte zum Beispiel an den großen Hundertfüßer, den ich gestern Abend in der Lodge
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