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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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das Mindeste, was ich tun konnte.
    Draußen empfing mich die Hitze, das Gras flimmerte, als brenne es. Ich schlug den Weg Richtung Küche ein. Da kam mir jemand entgegen. Eine magere Silhouette, die sich gegen das Licht abhob, mit dem Gang eines Marabu.
    Frau Dr.   Decker blieb mitten auf dem Weg stehen.
    »Tag, Frau Doktor«, sagte ich in meinem Gästeton.
    »Ich habe Sie gesucht, Herr Jesper.«
    Beinahe hätte ich »Aha« gesagt. Ich hielt die Hand über die Augen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. Im Gesicht der Ärztin war etwas, das ich schwer entziffern konnte, etwas, das nicht nach Urlaub oder Safari aussah. Sie wirkte eher, als habe sie Notdienst und wäre eben zu einer Operation erschienen.
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Sie griff in ihre Umhängetasche und zog einen Schuh heraus. »Kennen Sie den?«
    Ich nahm ihr den Schuh aus der Hand. Ein schwarzer Herrenschuh. Etwa meine Größe. Durch und durch feucht. Ich drehte ihn hin und her, erkannte die ledergeflochtene Borte, das kunstvolle Lochmuster im Oberleder. Was sollte ich jetzt sagen?
    »Teurer Schuh«, sagte ich.
    »Teuer, ja. Ein handgenähter Budapester. So was kostet ein paar hundert Euro. Haben Sie eine Idee, wie der in den Fluss gekommen ist?«
    »Sie waren am Fluss?«
    »Ich bin manchmal ungehorsam. Ich habe außerdem keine Angst vor Krokodilen. Also habe ich heute früh einen Spaziergang zum Fluss gemacht.« Sie berührte mich am Arm. »Der Schuh lag im flachen Wasser, einen Meter vom Ufer entfernt. Kaum zu übersehen. Ein Fuß steckte nicht mehr drin. Was geht hier vor, Herr Jesper?«
    Ich schaute auf den Schuh. Dachte an Saffkins träge Lider, hinter denen man Faulheit, aber auch etwas anderes vermuten konnte. Zeigen Sie mir einen Spieler, der aufhören kann, hatte er gesagt.
    »Wieso kommen Sie damit zu mir?«
    »Weil ich Ihnen noch am ehesten traue und weil ich glaube, dass Sie mehr wissen als ich. Auch wenn Sie vielleicht nicht alles wissen.«
    »Ich weiß nur, dass Herr Saffkin den ganzen Tag nicht aufgetaucht ist und dass er gesucht wird«, sagte ich. »Und ich glaube, dass ihm der Schuh gehört. Oder gehört hat«, ergänzte ich.
    »Na ja, er könnte ihn selbst ins Wasser geworfen haben. Ich will nicht das Schlimmste annehmen. Aber warum hätte er so etwas tun sollen?«
    Ich antwortete nicht, warf einen Blick zur Tafel hinüber. Die Stühle unter den Sonnenschirmen waren noch nicht besetzt.
    »Was passiert jetzt?«, fragte Frau Dr.   Decker.
    Ich zuckte die Achseln und gab ihr den Schuh zurück. »Sie sollten den Schuh Robert Fox zeigen. Er wird jetzt wohl die Polizei verständigen müssen. Es sei denn, Herr Saffkin ist inzwischen aufgetaucht.«
    Den restlichen Weg bis zur Tafel legten wir schweigend zurück. Auch die Ärztin vertraute mir. Ich bildete mir nichts darauf ein, nahm es als Ausweis meiner Harmlosigkeit. Man vertraut eben dem Schaf eher als dem Wolf. Das bedeutet aber nicht, dass man einem Schaf viel zutraut.
    »Setzen Sie sich noch einen Moment zu mir in den Schatten, Herr Jesper. Ich bin neugierig, ich will Sie noch was fragen.«
    Wir bestiegen das Podest. Ich begleitete Frau Dr.   Decker zu dem großen Sonnenschirm am Ende der Tafel, unter dem man noch zwei kleine Tische aufgestellt hatte, ein paar Stühle standen dabei. Ich schaute auf meine Uhr. In zehn Minuten musste ich zu Ze Zé.
    »Es dauert nicht lange«, sagte sie. »Was ist mit der schönen jungen Frau passiert, mit Felicitas?«
    »Mit Felicité. Wieso?«
    »Mein Haus steht nicht weit von ihrer Hütte. Sie ist dort drin und weint. Ich habe sie gehört, als ich vorhin weggegangen bin.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    »Wirklich nicht?«
    »Tut mir leid, aber ich muss jetzt in die Küche.«
    »Natürlich.«
    Ich stand auf. Frau Dr.   Decker sah an mir vorbei, dorthin, wo die Sonne gerade über dem Wald unterging. Alle sehen an mir vorbei, dachte ich. Ich bin wahrscheinlich im Begriff, ganz vom Erdboden zu verschwinden. Aber ich konnte doch nicht mit ihr über Felicité reden.
    Dann sagte ich: »Olson hat sie fast vergewaltigt.«
    Die alte Ärztin nickte, als habe sie sich das schon gedacht.
    »Der ist ein richtiger Kotzbrocken«, sagte sie.
    Ich schwieg zustimmend, dankbar für das schöne Wort »Kotzbrocken«, so holzig und wahr. Unversehens bekam ich Heimweh.
    »Wieso gehen Sie nicht zu ihr und kümmern sich um sie?«
    Ich warf Frau Dr.   Decker einen Blick zu. In ihrem Gesicht war nichts Mütterliches, kein Mitleid, keine Fürsorge. Etwas

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