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Gäbe es die Liebe nicht

Gäbe es die Liebe nicht

Titel: Gäbe es die Liebe nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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war.“ Sie tat, als musste sie das Laken glatt streichen, und warf einen Blick auf das Krankenblatt. Betrübt stellte sie fest, dass Mrs. Higgs Zustand sich rapide verschlechtert hatte. Doch als sie sich auf den Stuhl neben dem Bett setzte, lächelte sie wieder.
    „Sie erinnern sich doch an meine Freundin Myra?“ Anna wusste, wie gern Mrs. Higgs von Myras Eskapaden hörte. „Gestern Abend trug sie ein trägerloses Kleid. Der Ausschnitt war so gewagt, dass einige der älteren Damen fast in Ohnmacht gefallen wären.“
    „Und die Männer?“
    „Nun ja, sagen wir, Myra hat keinen Tanz ausgelassen.“
    Mrs. Higgs lachte und verzog das Gesicht, als der Schmerz einsetzte. Anna sprang auf.
    „Ich hole den Arzt.“
    „Nein.“ Mrs. Higgs griff nach Annas Hand. Die schma len Finger waren überraschend kräftig. „Der gibt mir nur wieder eine Spritze.“
    Tröstend rieb Anna über das zerbrechlich wirkende Handgelenk, während sie den Puls maß. „Nur gegen die Schmerzen, Mrs. Higgs. Sie müssen doch nicht leiden.“
    Mrs. Higgs entspannte sich und ließ den Kopf wieder in die Kissen sinken. „Lieber Schmerzen, als gar nichts fühlen.“ Sie lächelte matt. „Mit Ihnen zu reden ist besser als jede Medizin. Ist Ihr Daniel schon zurück?“
    Den Finger noch immer am Puls setzte Anna sich wieder. „Nein.“
    „Es war so nett von ihm, mich zu besuchen, bevor er nach New York flog. Stellen Sie sich vor, auf dem Weg zum Flughafen ist er bei mir vorbeigekommen.“
    „Er besucht Sie gern. Das hat er mir erzählt.“
    „Er hat mir versprochen, dass er wiederkommt, wenn er aus New York zurück ist.“ Sie warf einen Blick auf die Rosen, die die Schwestern nicht wegnehmen durften, obwohl sie schon eine Woche alt waren. „Es ist etwas Besonderes, jung und verliebt zu sein.“
    Anna spürte einen Stich im Herzen. Aber sie durfte Mrs. Higgs nicht mit ihren Problemen belasten. Lächelnd streichelte sie die Hand der Patientin. „Sie waren bestimmt oft verliebt.“
    „Oh ja. Sich zu verlieben ist so einfach, Anna. Aber es dann auch zu bleiben …“ Sie seufzte. „Ich habe meinen Mann geliebt, und nach ihm gab es keinen anderen.“
    „Wie war er, Ihr Mann?“
    „Oh, er war jung und so ehrgeizig. Voller Pläne. Sein Vater hatte ein Lebensmittelgeschäft, und Thomas wollte es erweitern. Aber dazu kam er nicht mehr … Es sollte nicht sein. Glauben Sie daran, dass manche Dinge vorherbestimmt sind, Anna?“
    Sie dachte an ihr Studium, an ihren Wunsch, Menschen zu heilen. Sie versuchte, nicht an Daniel zu denken. „Ja, das tue ich.“
    „Thomas war dazu bestimmt, jung zu sterben. Er war so voller Tatkraft und hat in seinem kurzen Leben viel erreicht. Je öfter ich an ihn denke, desto mehr bewundere ich ihn. Ihr Daniel erinnert mich an ihn.“
    „Wie das?“
    „Ich sehe es ihm an.“ Mrs. Higgs lächelte und wehrte sich gegen den Schmerz. „Er ist rücksichtslos genug, um zu erreichen, was er sich vorgenommen hat, aber er ist auch ein guter Mensch. Im Grunde seines Herzens. Er hat ein gutes Herz, glauben Sie mir. So eins wie Thomas, der einem Kind, das kein Geld hatte, Bonbons schenkte. Eins, das Ihren Daniel dazu bringt, eine alte Frau zu besuchen, die er gar nicht kennt. Ich habe mein Testament geändert…“
    Besorgt richtete Anna sich auf. „Mrs. Higgs …“
    „Keine Angst.“ Die alte Dame schloss die Augen, um Kraft zu sammeln. „Thomas hat mir etwas hinterlassen, und ich habe es gut angelegt. Ich habe keine Kinder, keine Enkel. Ich möchte, dass jemand sich an mich erinnert.“ Sie sah Anna an. „Ich habe mit Daniel darüber gesprochen.“
    „Mit Daniel?“ Beunruhigt beugte Anna sich vor.
    „Er ist klug, genau wie mein Thomas. Ich habe ihm erzählt, was ich will, und er hat mir erklärt, wie ich es tun muss. Mein Anwalt hat für mich eine Stiftung gegründet, und ich habe Daniel zu meinem Nachlassverwalter ernannt, damit er sich um alles kümmern kann.“
    Anna wollte das Thema Sterben als viel zu verfrüht abtun, doch dann wurde ihr bewusst, dass Mrs. Higgs keine Angst vor dem Tod hatte. „Was für eine Stiftung?“
    „Eine Stiftung für junge Frauen, die Ärztin oder Krankenschwester werden wollen.“ Mrs. Higgs lächelte über Annas verblüfften Gesichtsausdruck. „Ich wusste, dass es Ihnen gefallen würde.“
    „Das ist eine wunderbare Idee, Mrs. Higgs!“
    „Ich hätte allein sterben können, ohne jemanden, der bei mir sitzt und mit mir redet. Ich hatte Glück.“ Sie ergriff Annas Hand. „Anna,

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