Gäbe es die Liebe nicht
auszubreiten, die Mrs. Löwe ihnen mitgegeben hatte. Außer den Sandwiches gab es würzigen Kartoffelsalat. Als Dessert Kuchen. Schweigend aßen sie.
„In Schottland haben wir in einem kleinen Cottage gelebt“, begann Daniel nach einer Weile zu erzählen. „Es war nicht größer als die Garage am Haus deiner Eltern. Ich war fünf oder sechs, als meine Mutter krank wurde. Nach der Geburt meines Bruders wurde sie nie wieder richtig gesund. Meine Großmutter kam jeden Tag, um zu kochen und sich um das Baby zu kümmern. Ich saß bei meiner Mutter, redete mit ihr. Sie war noch so jung.“
Noch vor ein paar Wochen hätte Anna nur höflich zugehört, jetzt hing sie an seinen Lippen. „Erzähl weiter, bitte.“
„Mein Vater kam aus dem Bergwerk nach Hause, mit roten Augen in dem von Kohlenstaub schwarzen Gesicht. Himmel, wie erschöpft muss er gewesen sein. Aber er setzte sich zu meiner Mutter, spielte mit dem Baby und hörte mir zu. Sie hielt noch fünf Jahre durch, und dann, als ich zehn war, schlief sie einfach ein. Sie hatte gelitten, aber sie hat sich nie beklagt.“
Anna dachte an Mrs. Higgs. Jetzt hielt sie die Tränen nicht zurück.
„Meine Großmutter war zäh. Sie brachte mich dazu, aus Büchern zu lernen. Als ich im Alter von zwölf Jahren ins Bergwerk ging, konnte ich besser lesen, schreiben und rechnen als die erwachsenen Männer. Ich war schon so groß wie manche von ihnen.“ Er lachte.
„Die Mine war die Hölle. Staub in der Lunge, in den Augen. Jedes Mal, wenn die Erde bebte, wartete man auf den Tod und hoffte, dass es schnell gehen würde. Ich war etwa fünfzehn, als ich McBride, dem die Mine gehörte, auffiel. Da ich gut mit Zahlen umgehen konnte, half ich ihm bei den Abrechnungen und verdiente mir auf diese Weise etwas hinzu. Ein Jahr später blieb ich ganz oben und wurde Buchhalter. Obwohl wir arm waren, sorgte mein Vater dafür, dass ich die Hälfte meines Lohns in einer Blechdose sparte. Mein Bruder Alan musste das auch tun.“
„Er wollte, dass ihr es weiterbringt als er“, murmelte Anna.
„Ja. Das war sein Traum.“ Er sah sie an. Seine Augen brannten. „Ich war zwanzig, als der Hauptstollen einstürzte. Wir haben drei Tage und drei Nächte lang gegraben. Zwanzig Männer waren tot, darunter mein Vater und mein Bruder.“
„Oh, Daniel.“ Sie legte den Kopf an seine Schulter. „Das tut mir so Leid.“
„Als wir sie beerdigten, schwor ich mir, dass ich den Traum meines Vaters erfüllen würde. Als ich genug Geld hatte, war es allerdings zu spät, um meine Großmutter mitzunehmen. Bevor sie starb, nahm sie mir ein Versprechen ab. Ich sollte nicht der Letzte unserer Familie sein und nicht vergessen, woher ich komme.“
Daniel sah Anna fest an. „Dieses Versprechen will ich halten, mit jedem Stein dieses Hauses, für sie und für mich.“
Jetzt verstand sie ihn, vielleicht zu gut. Und sie wusste, dass sie sich hier, auf diesem einsamen, vom Wind gepeitschten Kliff, in ihn verliebt hatte.
Sie stand auf und ging dorthin, wo er sein Haus bauen wollte. „Sie wären stolz auf dich.“
Er folgte ihr. „Eines Tages werde ich nach Schottland fahren, um mich an alles zu erinnern. Ich möchte, dass du mich begleitest.“
Sie drehte sich zu ihm um. „Ich fürchte, ich werde dir nie alles geben können, was du erwartest, Daniel. Und ich fürchte mich noch mehr davor, dass ich es trotzdem versuchen werde.“
Er blieb vor ihr stehen. „Du hast mir gesagt, dass du Zeit brauchst. Ich habe dich gebeten, eine Entscheidung zu treffen. Jetzt frage ich dich, wie sie lautet.“
Anna stand da und starrte auf die Brandung, die tief unter ihr um die Felsen toste.
7. KAPITEL
In Anna rangen Verstand und Gefühl miteinander, und langsam, aber sicher setzte sich das Gefühl durch. Was war Liebe? In diesem Moment wusste sie nur, dass die Liebe viel, viel stärker war als die Logik, nach der sie immer gelebt hatte. Sie könnte sich stundenlang dagegen wehren und am Ende doch nichts dagegen ausrichten.
Sie standen am Kliff. Der Wind brauste gegen den Fels und heulte durch das hohe Gras und über das Land, auf dem Daniel einen Traum verwirklichen und ein Versprechen einlösen wollte. Wenn Daniel ihre Bestimmung war, würde sie sich diesem Schicksal stellen.
Sie war nicht sicher, ob die Zukunft, die er sich vorstellte, auch ihre war. Aber es gab etwas, das sie jetzt, in der Gegenwart, mit ihm teilen konnte. Also folgte sie ihrem Herzen und trat auf ihn zu.
Er nahm sie in seine Arme, presste seine
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