Gaelen Foley - Amantea - 01
Offenheit zu Kreuze zu kriechen.
Am ersten Tag war sie recht zufrieden mit sich selbst gewesen. Sie hatte ihre Keuschheit bewahrt, was ihr ein wichtiges Anliegen gewesen war.
Außerdem war es ihr gelungen, den starrköpfigen, wi- derspenstigen, uneinsichtigen Lazar di Fiore dazu zu bringen, den ersten Schritt zu tun, um seinen Thron wie- derzuerlangen. Seine Art, sie völlig zu ignorieren, veran- lasste sie nur dazu, ihn innerlich zu verhöhnen.
Der arme verwöhnte Prinz, der zutiefst gekränkt war, weil er einmal nicht seinen Kopf durchgesetzt hatte! Sie hatte ihn davon abgehalten, mit seiner neuen Puppe zu spielen. Nun, sollte er nur schmollen!
Jedes Schiff braucht einen Kompass, hatte er gesagt. Er hatte sie gebeten, ihm stets die Wahrheit zu sagen. Aber anscheinend kann er sie nicht ertragen, dachte Allegra.
Dann verbrachte sie eine weitere Nacht allein.
Am zweiten Tag löste seine kühle, distanzierte Höf- lichkeit eine gewisse Unruhe in ihr aus. Ihr fehlte sein schalkhaftes Lächeln genauso, als hätte sie einen Freund verloren, und sie begann, sich Gedanken über die Gefahr zu machen, der er sich bald aussetzen müsste.
Gewiss nahm er nicht an, dass er vielleicht sterben würde. Er hatte wieder einmal nur übertrieben, als er ge- sagt hatte, dass sie es noch bedauern würde, nicht seinen fleischlichen Bedürfnissen nachgekommen zu sein.
Am meisten verunsicherte sie die Tatsache, dass er sie nicht einmal in seine Kajüte ließ, damit sie ihm bei seinen Plänen für Amantea helfen konnte. Dabei wünschte sie sich nichts mehr als das.
Allegra wusste, dass Lazar ihr nur deshalb eine Einmi-
schung verwehrte, weil er sie bestrafen wollte. Sie hoffte, dass dieser Starrkopf früher oder später schon feststellen würde, dass er ihren Rat wenigstens in einigen Angelegen- heiten brauchte.
An diesem Nachmittag zog sie sich ihr hübschestes Kleid an, steckte sich das Haar locker hoch und ging an Deck, da sie hoffte, dort eine sinnvolle Beschäftigung zu finden.
Nachdem sie aus der Luke herausgekommen war, genoss sie den Anblick des azurblauen Himmels und des Meers. Sie entdeckte Lazar, der unter den hin und her schlagen- den Segeln stand und wie so oft von seinem Platz auf dem Achterdeck die anderen Decks überwachte.
Er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt, der Dreispitz bedeckte seinen Kopf. Allegra fand, dass er äu- ßerst respekteinflößend wirkte. Sie versuchte, seine Stim- mung zu erraten, doch es war ihr nicht möglich, denn sein Gesicht, das sie nur im Profil sah, wirkte ausdruckslos.
Unsicher blieb sie stehen, da sie nicht wusste, ob sie ver- suchen sollte, mit ihm zu sprechen oder nicht. Als Lazar sie jedoch entdeckte, drehte er sich weg und schritt über das Achterdeck.
Verärgert runzelte sie die Stirn und kniff die Augen zusammen. Sie ging zur Mitte des Schiffs, wo sie den Segelmachern anbot, die Segel zu flicken.
Die zwei Männer, die an diesem Nachmittag arbeiteten, waren geschwätzige, gutmütige Kerle, die von den franzö- sischen Inseln in der Karibik stammten. Als Allegra ihnen ihre Hilfe anbot, waren sie bereit, ihr alles zu erzählen, was sie wussten.
„Warum wird euer Kapitän der Teufel von Antigua ge- nannt?“ fragte sie, während sie mit ihnen auf einem Haufen Netze im Schatten eines Segels saß.
Pierre lachte. „Das ist eine wilde Geschichte. Bis vor vier Jahren hatten die Piraten einen anderen Anführer.“
„Kapitän Wolfe?“ warf Allegra ein.
Die Männer nickten.
„Was für ein Mann war er?“
Sie grinsten, und Jacques schüttelte den Kopf. „Sagen wir es so, Mademoiselle. Sie wissen doch, wie in der Kir- che der Schöpfer gemalt wird? Langer weißer Bart, graue streng blickende Augen ...“
„Er sah wie Gott aus?“ rief sie überrascht.
„Aye, aber mit nur einem Bein. Man behauptete, dass es ein Haifisch abgebissen hatte, als er eines Tages auf Fisch- fang war. Er hat daraufhin das Ungeheuer gejagt, gefan- gen und ihm zwischen die Augen gespuckt. Dann hat er es unter seinen Männern verteilt.“
„Mein Gott“, sagte Allegra und wurde ganz blass, während die beiden lachten.
„Aye, er hatte die Erfahrungen eines alten Seelöwen. Wenn man ihm in die Quere kam ...“
Bedeutungsvoll schüttelte Jacques den Kopf.
„Er war ein Verrückter. Ein grausamer – verzeihen Sie den Ausdruck, Mademoiselle – Hurensohn“, erklärte Pierre lachend. „Aber man musste ihn einfach mögen. Er war allerdings dafür bekannt, sich manchmal mit seiner Peit-
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