Gaelen Foley - Amantea - 01
wurden blass und schauten zu Lazar auf, der auf einer Plattform über ihnen stand. Seine Miene zeigte Allegra, dass er mitgehört hatte, als sie die Männer über ihn ausgefragt hatte. Sein triumphierender Blick empörte sie und ließ sie sogleich mutig werden.
„Wie viele Menschen Sie umgebracht haben“, erklärte sie laut.
„Signorina Monteverdi, ich habe mir nie die Mühe ge- macht mitzuzählen“, erwiderte Lazar spöttisch. Er warf seinen Männern einen drohenden Blick zu, wünschte Allegra höflich einen guten Tag und schritt davon.
Oh, ich hasse diesen Mann, dachte sie.
An diesem Abend verbrachten sie das Abendessen schweigend. Allegra schaute von Zeit zu Zeit heimlich zu Lazar, der kaum etwas zu sich nahm. Statt Wein trank er Wasser und schien völlig in Gedanken versunken zu sein.
Auch wenn sein Verhalten mit der bevorstehenden Ge- fahr zusammenhängen konnte, hatte Allegra doch das be-
drückende Gefühl, dass es ihre Anwesenheit war, die ihn so schweigsam machte.
Er bedauerte es wahrscheinlich, dass er sie zu seiner Ge- fangenen gemacht hatte. Dieser Gedanke ließ Allegra bei- nahe schmollen. Zweifelsohne war er nun ausgesprochen erleichtert, dass sie kein Kind von ihm in sich trug – wie er das noch vor kurzem vorgeschlagen hatte. Denn dann wäre er für immer an sie gebunden. Seines Ehrgefühls wegen, dachte sie erschrocken.
Warum hatte sie ihn beschuldigt, kein Ehrgefühl zu besitzen? War das nicht ungeheuerlich gewesen?
Sie starrte auf ihren Teller und überlegte sich verzwei- felt, wie es nur so weit kommen konnte, dass sie sich wie zwei Fremde gegenübersaßen, obgleich sie so vertraut miteinander gewesen waren.
Er hatte sie in intimster Weise berührt, an ihren Brust- spitzen gesaugt. Und jetzt wollte er nicht einmal ihrem Blick begegnen. Allegra wäre am liebsten in ihre Koje ge- krochen, hätte die Laken über den Kopf gezogen und wäre dort für den Rest der Reise geblieben.
Doch das Bett wirkte ohne ihn auf einmal so leer, dass sie dort nicht länger als unbedingt nötig verbringen wollte.
Sie begriff auch nicht, warum sie sich so schlecht fühlte, wenn es Lazar gewesen war, der sich unmöglich benom- men hatte. Auch verstand sie nicht, dass es sie verletzte, von ihm fortgestoßen worden zu sein, wenn sie doch so sehr darauf bedacht war, ihre Jungfräulichkeit nicht zu verlieren:
Nun, das hatte sie zumindest erreicht.
Bald, dachte sie, würde er nach Amantea zurückkehren und auf einer Ehe mit Prinzessin Nicolette bestehen, wie Allegra das erwartet hatte.
Die Vorstellung verursachte ihr geradezu Übelkeit.
Hastig trank sie einen großen Schluck Wein und schaute auf, als Lazar sich erhob.
Er legte seine Serviette auf den Tisch und entschuldigte sich undeutlich, bevor er aus dem Zimmer verschwand. Der Vikar und Allegra sahen sich an. Dann warf sie wü- tend ihre Serviette auf den Tisch und stützte das Kinn in die Hände.
„Er macht sich Sorgen, meine Liebe. Es ist nicht Ihre Schuld“, beruhigte sie der alte Engländer.
„Ich ertrage das nicht mehr länger“, erwiderte Allegra mit verkrampfter Stimme, die gar nicht wie ihre übliche klang. „Mein Schicksal liegt in den Händen eines Mannes, der mich hasst.“
„Ich würde nicht behaupten, dass er Sie hasst.“ Der Vikar lachte leise.
Hilfe suchend sah sie ihn an.
Der Vikar kniff sie liebevoll in die Wange. „Ach, Si- gnorina Monteverdi. Lassen Sie sich von ihm nicht alles gefallen. Wenn Sie Ihre Grundsätze vertreten, wird schon alles gut werden.“
Allegra rang sich ein Lächeln ab. „Sie sind ein guter Mensch, John Southwell.“
„Unsinn“, murmelte der Vikar. Er lief rot an und trank rasch einen Schluck Wein.
„Vikar, gab es viele junge Damen, die er entführt hat?“
Der Mann verschluckte sich beinahe, als er lachend los- prustete. Er tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und schüttelte mit blitzenden Augen den Kopf. „Signorina Monteverdi, Sie sind die Erste. Und Sie sind auch die erste Frau, bei der ihm sein Temperament durchging.“
Allegra ließ den Kopf hängen. „Das beweist nur noch deutlicher, dass er mich verachtet.“
„Beweist es das?“ fragte der Vikar mit einem Zwinkern. „Seien Sie sich dessen nicht so sicher.“
Später lag Allegra im Bett, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und blickte starr auf die dunklen Plan- ken über ihrer Koje. Sie konnte sich nicht länger der Wahr- heit entziehen: Sie hatte Lazar verletzt. Und zwar ziemlich stark.
Er war keine
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