Gaelen Foley - Amantea - 01
sche, der neunschwänzigen Katze, zu vergessen. Das war auch sein Untergang.“
„Hat Lazar ihn umgebracht?“ fragte Allegra und erin- nerte sich an das Narbennetz auf seinem Rücken.
„O nein, Mademoiselle! Der Kapitän hat den alten Mann verehrt.“
„Verehrt? Das kann ich nicht glauben.“ Sie runzelte die Stirn. „Wolfe hat ihn schließlich ausgepeitscht.“
„Aye, da gab es einen ziemlichen Machtkampf.“ Pierre grinste erneut. „Wolfe war außer Stande, seinen Willen zu brechen, und hat ihn schließlich als seinen eigenen Sohn angenommen.“
„Was?“
„Aye, Wolfe hatte nie selbst Kinder, und so wurde Lazar sein Sohn. Der Kapitän kam zu den Brüdern, als er noch ein Junge war.“
„Wie alt?“ erkundigte sich Allegra interessiert. Sie wuss- te, dass Lazar zum Zeitpunkt der Morde an den Fiori dreizehn Jahre alt gewesen war.
Pierre und Jacques sahen sich nachdenklich an. „Viel- leicht fünfzehn oder sechzehn? Höchstens siebzehn.“
Jacques lachte. „Er hätte jedem die Kehle durchge- schnitten, der in die Nähe seines Essens kam. Seit jener Zeit ist er viel zahmer geworden“, fügte er hinzu.
Allegra fragte sich, wo Lazar wohl die Jahre zwischen seinem Verschwinden aus Amantea und dem Auftauchen bei den Piraten und Kapitän Wolfe verbracht hatte.
„Sind Sie sich sicher, dass Sie das alles hören wollen, Mademoiselle?“
Sie nickte eifrig, als die Männer durch eine Frage von einem anderen Matrosen, der etwas über ein zerfetztes Hauptsegel wissen wollte, unterbrochen wurden. Heim- lich beobachtete Allegra den breitschultrigen Mann auf dem Achterdeck und hörte nur mit halbem Ohr auf die Unterhaltung neben ihr.
Die meiste Zeit stand Lazar mit einer Faust in die Hüfte gestemmt, einem Zigarrenstumpen zwischen den Fingern und hielt in der anderen Hand ein Sprechrohr. Er benutzte es, um seiner Besatzung Befehle zu erteilen.
Er genießt das, dachte Allegra.
Gelegentlich ging er zur Reling und sah mit einem Ta- schenteleskop aufs Meer hinaus. Er betrachtete die Route für seine Flotte, die für Allegras ungeübte Augen völlig unsichtbar war.
Die Segelmacher wandten sich ihr wieder zu.
„Jedenfalls überfielen wir vor vier Jahren Antigua“, er- zählte Pierre. Die beiden Männer tauschten einen ernsten Blick miteinander aus. „Die Piraten drehten von dem vie- len Blut, Gold und Rum durch. Es war ein schrecklicher Überfall. Etwa zwanzig Männer begannen eine Meuterei und brachten Wolfe um.“
„Der Kapitän brachte die Männer wieder zur Ver- nunft“, fuhr Jacques fort. „Wir verließen Antigua, bevor die Kriegsschiffe eintrafen. Als wir wieder zurück in der ,Wolfshöhle’ waren, ließ er diejenigen, die die Meuterei angezettelt hatten, hinrichten. Dann wählten die Piraten einen neuen Anführer – ihn. Seitdem ist er unser Kapitän.“
„Ihr habt gewählt?“ fragte Allegra überrascht. „Er ist ein gewählter Kapitän?“
„Aye. Wir wählen immer. So machen wir das“, erklärte Pierre nachsichtig.
Sie blickte ihn an. „Das heißt, er befehligt euch nicht wie ein Diktator?“
Die beiden Männer sahen sich an. „Nein, Mademoiselle, auf keinen Fall.“
Allegra schüttelte den Kopf, als könnte sie es noch immer nicht glauben. „Was haltet ihr von ihm als Anführer?“
„Es hat noch nie einen besseren gegeben“, verkündete Jacques.
„Er ist hart, aber gerecht“, sagte Pierre.
„Ist er jemals so grausam wie Wolfe? Lässt er auspeit- schen?“
„Er hat noch keinen Mann geschlagen“, erwiderte Jacques, ohne zu zögern. „Nein, der Kapitän hat nur we- nige Regeln. Wenn man sich nicht daran hält, bekommt man noch mal eine Chance. Und dann ...“
Er hielt zwei Finger an seine Schläfe und tat so, als würde er sich erschießen. „Bumm“, sagte er lächelnd.
Er konnte nicht ahnen, wie sehr Allegra diese Geste schaudern ließ. Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter, als sie sich an Lazars Feuerkommando erinnerte und seine ur- sprüngliche Absicht, sie zu erschießen, während ihr Vater zuschaute.
„Wie viele Menschen mag er wohl schon umgebracht haben“, meinte sie.
„Ich habe keine Ahnung, Mademoiselle.“
„Fragen Sie ihn.“ Jacques lachte, während er einen Faden in das Nadelöhr führte.
„Tun Sie es lieber nicht, Mademoiselle. Er wird es Ihnen sowieso nicht sagen. Der Kapitän ist ein sehr verschlosse- ner Mann.“
„Was soll Sie lieber nicht fragen?“ erkundigte sich plötzlich eine tiefe Stimme, die drohend höflich klang.
Alle drei
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