Gaelen Foley - Amantea - 01
sie spüren, obgleich sie drei Fuß von ihm entfernt stand.
Frisch gewaschen und strahlend sah ihre elfenbeinfar- bene Haut so verführerisch wie selten aus. Ihr aprikosen- farbenes Kleid war wieder bis oben zugeknöpft, das Haar mit den goldenen Strähnen sorgfältig hochgesteckt. Un- zweifelhaft erinnerte sie an ein gesittetes Mädchen aus der Klosterschule.
Wer würde jemals vermuten, dass ein so zerbrechlich wirkendes Wesen eine so scharfe Zunge haben kann, dachte Lazar.
Als der extravagante junge Morris sich darum bemühte, mit Allegra eine Unterhaltung zu beginnen, warf der Franzose Lazar einen verständnisvollen Blick zu.
Er hatte auf der Mauer gestanden, als Allegra Lazar Paroli geboten hatte. Lazar sah in den Augen des franzö- sischen Kapitäns Bewunderung für den Mut der jungen Dame aus Amantea.
Galant küsste Landau Allegra die Hand, und Lazar stellte zu seiner eigenen Überraschung amüsiert fest, dass er einen Stich der Eifersucht in der Brust verspürte. Eine weitere neue Erfahrung. Als Allegra zum nächsten Mann trat, um ihn zu begrüßen, wandte sich Landau mit einem Lächeln an Lazar.
„Also gut, mein Freund“, erklärte er. „Ich werde bei Ih- rem Spiel mitmachen. Vielleicht erläutern Sie mir eines Tages Ihre Beweggründe. Aber ich warne Sie: Wenn mein Schiff auch nur einen Kratzer abbekommt ...“
Lazar deutete bei dieser freundschaftlichen Drohung ein Lächeln an. Dann beobachteten die beiden Männer, wie Allegra Fitzhugh mit ihrem Charme bezauberte. Auch der Vikar sah belustigt zu, als der alte Kapitän so vor- sichtig ihre Hand nahm, als wäre sie aus zerbrechlichem Porzellan, während er seine Mütze an die Brust drückte.
Nachdem Russo sie herzlich und Sullivan höflich, aber unsicher begrüßt hatten, war Lazar verblüfft – ohne es al- lerdings zu zeigen –, als Allegra um den Tisch herumging und sich in einer seltsam anmutenden Geste des Gehor- sams rechts neben, seinen Stuhl stellte. Dann wurde ihm klar, warum sie das tat.
Sie wollte den Männern, die sie mit glänzenden Augen anstarrten, zeigen, dass sie bereits einen Beschützer hatte.
Allegra legte ihm sogar die Hand auf die Schulter.
Diese Frau hat wirklich Mut, dachte Lazar. Da bean- spruchte sie seinen Schutz, nur wenige Momente nachdem sie ihn zurückgewiesen und derart beleidigt hatte, wie er noch nie in seinem Leben beleidigt worden war.
Dennoch legte er seine linke Hand auf seine rechte Ach- sel, wo Allegra ihre Finger unter die seinen schob. Er sagte kein Wort, sondern betrachtete nur ausdruckslos die Runde der Männer.
Als sie noch näher an ihn herantrat, spürte Lazar ihre Angst vor ihm, und das gefiel ihm abartigerweise. Das war wohl die einzige Art der Befriedigung, die er je von ihr bekommen würde.
Ein leises Gefühl der Schuld nagte an ihm, da er sie
so grob behandelt und so schroff zu ihr gesprochen hatte. Aber er dachte: Verdammt! Ich werde mich nicht bei ihr entschuldigen. Sie erhält nur das, was sie verdient.
Fitzhugh blickte Allegra an und sah dann bittend zu Lazar. „Von mir aus können Sie diese sechs glorreichen Schiffe zum Styx, dem Fluss der Toten, führen, Kapitän – solange Sie nur diese junge Dame nicht mit in Gefahr bringen“, sagte er vehement. „Bickerson oder ich werden die Dame in Sicherheit bringen.“
„Oh, ich bleibe bei Lazar, mein Herr“, sagte Allegra leise, aber dennoch energisch und legte ihre andere Hand auf die seine.
„Miss, es wird sehr gefährlich werden.“
„Ist das wahr?“ fragte sie Lazar.
„Fitzhugh ist ein ehrlicher Mann.“
Aufmerksam betrachtete Allegra den Schotten. „Dann ist es noch wichtiger, wenn ich an seiner Seite bleibe.“
Etwas in Lazars Brust tat bei ihren Worten auf einmal weh. Er verstand diese Frau einfach nicht. Zuerst traf sie ihn mit ihrer scharfen Zunge mitten ins Herz, und im nächsten Moment stellte sie sich wie seine gehorsame Gattin hinter ihn. Wohin du gehst, werde auch ich gehen.
Vielleicht würde sie anders denken, wenn sie wüsste, wohin sie wollten.
„Brava, bella“, sagte Russo mit einem breiten Grinsen.
„Quelle femme“, murmelte Landau.
Als Bickerson einsah, dass er mit seinem Einspruch auf einmal allein dastand, wollte er ebenfalls nichts mehr einwenden. So fiel die Entscheidung, umzudrehen und zurückzusegeln, letztlich doch einstimmig aus.
Innerhalb der nächsten Stunde würde die Flotte wenden und zuerst in Richtung Osten und dann nach Süden zur Küste der Barbaresken zurückfahren.
Obgleich
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