Gaelen Foley - Amantea - 01
gewesen war. Ein verdammtes Wunder, dass du überhaupt überlebt hast.
Während er das dunkle Meer betrachtete und dem Rau- schen der Brandung lauschte, regte sich in seinem Herzen ein Gefühl, das langsam zu einer tiefen Einsicht zu werden begann.
Er verspürte eine bittersüße Qual, die er nicht zu be- nennen vermochte. Das Einzige, was er wusste, war, dass er endlich das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte, einlösen konnte.
Aber inzwischen habe ich einen anderen Schwur ge- brochen, dachte er schwermütig. Es war ein Schwur, der keiner Worte bedurfte, sondern sich tief in seine Seele eingebrannt hatte.
In meinem Herzen bin ich deine Gattin, hatte sie gesagt. Das genügt mir.
Ach, chérie. Was soll ich nur mit dir tun?
Hilflos und verzagt schaute er zu den Sternen empor. Al- legra war seine Gefährtin gewesen, die ihm bei all seinen Schwierigkeiten beigestanden und ihn nach Hause geleitet hatte. Sie hatte seine Seele gerettet und ihm alles gegeben. Und er? Er hatte sie von sich gestoßen.
Ihm war keine Wahl geblieben, denn der Tod des Vikars hatte ihm deutlich gezeigt, dass wirklich ein Fluch auf ihm lastete.
Aber warum ist es so? dachte Lazar verzweifelt. Es hatte eine Zeit gegeben, da er nicht einmal zu hoffen gewagt hatte, dass er sein Königreich zurückgewinnen könnte. Doch seine Liebe zu Allegra und ihre Liebe zu ihm hat- ten das Unmögliche wahr werden lassen. Vielleicht war es falsch, zu glauben, dass er sie nicht an seiner Seite haben durfte.
Vergiss niemals den Fluch, flüsterte ihm eine innere Stimme zu.
Das Leben war gefährlich, ganz gleich, aus welchem Blickwinkel man es betrachtete.
Man konnte wahnsinnig werden, wenn man sich über die eigene Sterblichkeit zu lange Gedanken machte – von der Sterblichkeit eines geliebten Menschen ganz zu schweigen.
Die einzige Art und Weise, wie man der stets gegenwär- tigen Angst vor dem Tod entkommen konnte, war es, ihm ins Angesicht zu schauen. Doch Lazar hatte diese Mög- lichkeit in jener Nacht nicht genutzt, als er die silberne Kugel ins Meer geworfen hatte.
Aber sich dem Leben stellen? Er wusste nicht, ob er diesen Mut überhaupt besaß.
Denn selbst wenn er es schaffen sollte, Allegra von Ver- rätern, Mördern und anderen Verbrechern fern zu halten,
so starb dennoch die Hälfte der Frauen im Kindbett. Be- reits am Anfang eines jeden Lebens schaute der Tod mit zu.
Wenn er sie wieder zu sich holte, würden früher oder später Kinder kommen. Er war sich sicher, sie zutiefst zu lieben. Doch was würde geschehen, wenn sie ihm genom- men würden? Säuglinge waren so verletzliche Wesen. Wie sollte er das ertragen?“
Außerdem wollte Allegra sich um die Armen kümmern, die bekanntlich in schmutzigen Behausungen lebten und ansteckende Krankheiten hatten. Irgendwann würde sie sterben. Selbst wenn dieser Fluch in Wahrheit nicht auf ihm lastete, würde er sie eines Tages begraben müssen. Denn er bezweifelte, dass Gott ihn zuerst gehen ließ.
Willst du sie wirklich beschützen, oder befürchtest du, den Schmerz nicht ertragen zu können? Rennst du davon, nur um dich zu schonen?
Das Meer unter ihm und die Sterne über ihm schienen eine Antwort bereit zu halten, die er selbst noch nicht ver- stand. Er spürte nur, dass sie offen vor ihm lag, doch er vermochte noch nicht, sie aus eigener Kraft zu finden.
Verzweifelt betrachtete er das Meer und den Himmel, bis ihm dort am Kliff beinahe schwindlig wurde. Er ließ sich auf ein Knie nieder, um das Gleichgewicht wieder zu finden, während der Wind heftig um ihn blies.
Den Ellbogen auf das Knie gestützt, barg er das Gesicht in die Hand.
Ich bin so oder so ein Verdammter, dachte Lazar resi- gniert. Wir sind alle auf die eine oder andere Weise ver- dammt. So ist das Leben. Man sollte zumindest versuchen, glücklich zu sein.
Unendlich traurig lachte er leise über seine eigene Phi- losophie. Diese Art von Weisheit hätte ebenso gut von einer alten Amanteaner Bäuerin stammen können, die an ihrem Herd stand und Knoblauch in Olivenöl briet.
War das Leben tatsächlich so einfach?
Er schloss die Augen und sehnte sich danach, wirklich daran glauben zu können. Aber sie wird mir genommen werden. Das ertrage ich nicht. Warum sind mir alle ge- nommen worden? Warum verliere ich alles, was mir teuer ist?
Auf einmal konnte er klar und deutlich die Stimme des
Vikars in seinem Innern hören. Sein Lehrer versuchte ge- duldig, ihm Unterricht in der Logik zu erteilen, um sein leidenschaftliches
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