Gaelen Foley - Amantea - 02
müssen. Unter falschem Namen hatte er sich vorgestellt, hatte Leute be- stochen und sogar eine von Tjurinows früheren Geliebten verführt. Er hatte Gesetze gebrochen und war in Regierungs- gebäude eingedrungen.
Im Laufe seiner Nachforschungen hatte er Anatol immer mehr gehasst. Er war machtbesessen, ein Intrigant und ein Lügner. Natürlich sagte sich Darius, dass auch er log und nicht viel wert war, aber zumindest gab er nicht vor, ein Held zu sein. Das Böse, das er tat, diente dazu, die Menschen, die gut zu ihm gewesen waren, zu beschützen. Tjurinow jedoch besaß keinerlei Ehrgefühl.
Als das Schlimmste jedoch erschien ihm die Tatsache, dass der Russe Serafina nicht einmal liebte. Wenn sie ihm wirk- lich etwas bedeutet hätte, wäre es etwas anderes gewesen. Aber ihre Schönheit ließ sie für ihn zu einer Trophäe werden, mit der er sich schmücken und wieder einmal seine Größe demonstrieren konnte.
Und was empfindet Serafina für den ruhmreichen Anatol, fragte sich Darius zum wiederholten Mal. Hatte auch sie sich von Tjurinows Charme einwickeln lassen?
Sie war klug. Darius hatte ihr als Kind beigebracht, jedem zu misstrauen, der übermäßig freundlich war, doch nun war sie eine junge Frau, die für die Liebe bereit war.
Als er aus dem Fenster blickte, sah er den Himmel vom
Licht der untergehenden Sonne in Orange, Rosa und Violett schimmern.
Bald würde sich alles um ihn herum in Schwarz verwan- deln. Dann gab es nie mehr eine Chance.
Geh zu ihr. Sobald die Anstandsdamen kommen, darfst du dich ihr nicht mehr allein nähern.
Er nahm ein neues Blatt Papier hervor, tauchte den Fe- derhalter in die Tinte und schrieb mit klopfendem Her- zen.
Königliche Majestät,
zum jetzigen Zeitpunkt wäre es nicht zu empfeh-
len, noch mehr Bedienstete zu senden. Ihrer Ho-
heit geht es gut, und unsere Unterkunft ist sicher.
Ihr ergebenster Diener D. S.
Hastig, als ob sein Leben davon abhinge, faltete Darius den Brief und versiegelte ihn.
Es war das Selbstsüchtigste, Betrügerischste und Notwen- digste, was er je getan hatte.
Darius erhob sich, ging in die Halle und rief nach Alec.
Er rannte herbei. „Captain?“
„Bringen Sie Seiner Majestät diese Botschaft.“
„Jawohl, Captain.“
„Und versuchen Sie, so viel wie möglich über Orsinis Fortschritte in Erfahrung zu bringen.“
Darius wandte sich zum Gehen, zögerte dann jedoch. Er warf seinem Adjutanten über die Schulter einen Blick zu. „Alec, wo ist Ihre Hoheit?“
Falls den jungen Mann diese Frage belustigte, zeigte er es jedenfalls nicht. „Ich weiß es nicht. Aber ich werde es für Sie herausfinden.“
„Danke. Ich bin in meinem Zimmer.“
Oben ging er in seine kleine, spartanisch eingerichtete Kammer, wo er einen schweren Eichenschrank öffnete und ein schmales schwarzes Lederköfferchen herausholte. Er trug es zum Bett, machte den Deckel auf und starrte auf das schim- mernde Gewehr, das er für den Anschlag auf Napoleon hatte anfertigen lassen.
Er ließ seine Fingerspitzen über den geschmeidigen Ma- hagonigriff gleiten. Die Waffe besaß eine Schussweite von hundertfünfzig Ellen.
Darius schloss das Köfferchen. Später wollte er üben.
Nachdem er das Gewehr wieder im Schrank verstaut hatte, ging er zu seinem Waschtisch, um sich zu erfrischen. Das Was- ser belebte ihn wieder, und die Erschöpfung nach Stunden der Arbeit wich. Er wusch sich das Gesicht, rasierte sich und kämmte sich das Haar, wobei er sich innerlich als eitel und töricht verspottete, denn er tat dies vor allem, da er Serafina aufsuchen wollte.
Während er sein Halstuch band, betrachtete er sich auf- merksam im Spiegel. Er sah einen Fremden darin mit wild funkelnden Augen und einer Narbe am Mund – eine stän- dige Erinnerung daran, dass er niemals irgendwo erwünscht gewesen war.
Doch Serafina schien ihn zu wollen.
Warum mich, dachte er nicht zum ersten Mal.
„Grüble nicht so viel“, riet er trocken seinem Spiegelbild. Dann verließ er das Zimmer, verschloss die Tür und machte sich auf die Suche nach seiner königlichen Schutzbefohlenen.
Er trat an die Balustrade, von wo aus man die Eingangs- halle überschauen konnte, und rief nach seinem Adjutan- ten.
„Ich habe sie noch nicht gefunden, Captain!“ Alec erschien am Fußende der Treppe.
„Was?“ Stirnrunzelnd sah Darius ihn an.
„Seit Stunden wurde sie von niemandem gesehen.“
Darius wurde es ganz bange zu Mute. „Verdammt noch mal! Warum habe ich zwei Dutzend Männer hier, die sie bewachen
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