Gaelen Foley - Knight 01
hatte.
Mit einer Droschke fuhr sie zur Bank und zahlte dort den Er- lös ihrer Transaktionen auf ihr Konto ein. Dreitausend Pfund davon legte sie fest an, rechnete ein wenig und stellte fest, dass sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Bei fünf Prozent Zinsen würden die dreitausend jährlich hundertfünf- zig Pfund abwerfen.
Erstaunt setzte sie sich zurück. Sie brauchte nur ein einfa- ches, bescheidenes Leben zu führen – genau das Leben, das ihr von Anfang an vorgeschwebt hatte –, und sie wäre nie wieder von einem anderen Menschen abhängig. Weder von reichen Verehrern noch von Harriette, noch nicht einmal von Papa. Im Vergleich zu ihrem jetzigen Lebensstil wäre es natürlich recht ärmlich, aber wesentlich besser, als Orangen zu verkaufen. Nie wieder wäre sie irgendjemandem Rechenschaft schuldig. Plötzlich war sie für den Rest ihres Lebens ... frei und unab- hängig.
Erstaunt blickte sie auf, schloss die Augen und segnete den Freund, der ihr ah das ermöglicht hatte.
Ach Robert, wie sehr ich dich vermisse, dachte sie plötzlich voll Elend. Doch sie nahm ihr Retikül und verließ die Bank, denn sie hatte noch viel zu tun.
Am selben Tag noch nahm sie Abschied von den Wilson- Schwestern und mietete sich in einem ruhigen Haus in Bloomsbury ein, nicht weit vom Findlingsheim. Wieder einmal baute sie aus den Trümmern des alten ein neues Leben auf. Die Abende verbrachte sie mit Lektüre, um sich von ihrem gebro- chenen Herzen abzulenken, tagsüber ging sie ganz in ihrer eh- renamtlichen Tätigkeit im Findlingsheim und bei der Armen- hilfe auf: Über der Not der Straßenkinder versuchte sie ihren eigenen Schmerz zu vergessen.
Oft fragte sie sich, wie es wohl Tommy und Andrew im Knight House erging. Und ihr ehemaliger Gönner ging ihr nie aus dem Sinn.
Sie war froh, dass ihr Vater noch in London weilte, wo er ir- gendwelche Recherchen anstellte, denn in diesen Tagen war er ihr einziger Gefährte. Er war überglücklich, dass sie ihre Lauf- bahn als Kurtisane aufgegeben hatte, und wenn sie ihn besuch- te, was sie oft tat, da sie fast jeden Abend zusammen speisten, füllten sich seine Augen mit Tränen des Stolzes.
Die Loge am Haymarket behielt sie nur ihrem Papa zuliebe. Ein Mal in der Woche ging sie mit ihm ins Theater, schließlich war die Miete bis zum Ende der Saison bezahlt. Sie lachten beide darüber, dass er, wie sehr er ihren vormaligen Beruf auch missbilligte, sich doch nicht zu schade war, die teuren Plätze zu genießen, die sie ebendiesem Beruf zu verdanken hatten.
Eine Woche später tauchte ein anderer Freund aus der Ver- gangenheit auf. Als Bel eines Septemberabends nach Hause kam, traf sie Mick Braden an, der auf der Vordertreppe auf sie wartete, genau wie damals, als sie noch jung waren.
Er stand auf, als sie durchs Tor kam, und als sie auf ihn zu- ging, sah sie den tiefen Schmerz, der in seinem hübschen, jun- genhaften Gesicht geschrieben stand. Lange blickten sie ei- nander an.
„Hallo, Mick“, sagte sie schließlich.
„Dein Vater hat mir verraten, wo ich dich finde.“
„Möchtest du hereinkommen?“
„Bitte“, erwiderte er heiser.
Als sie den kleinen Salon betraten, nahm er sie langsam in die Arme und hielt sie fest, als wäre sie aus zerbrechlichstem Glas. „Es tut mir so Leid. Dein Vater hat mir alles erzählt.“ Er ließ sie los und ergriff ihre Hände. „Ich mache mir die größten Vorwürfe, Bel. Ich will es wieder gutmachen. Heirate mich.“ Mit einem tiefen Seufzer schloss Bel die Augen. „Ich liebe dich nicht, Mick.“
„Ich weiß. Das ist schon in Ordnung. Aber ich finde, in einer Ehe sollte man sich irgendwie ebenbürtig sein. Wir sind einan- der ebenbürtig. Deine Gefühle für Hawkscliffe werden sich mit der Zeit legen, aber ich werde dann immer noch da sein, weil ich ein Teil von dir bin. Wir kennen uns nun unser Leben lang. Ich mag dich, und ich habe dir gegenüber eine Verpflichtung. Ich drücke mich nicht um meine Pflichten herum.“
„Bist du hier, weil du dich dazu verpflichtet fühlst? Du hebst mich auch nicht?“
Sanft strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. „Was verstehst du unter Liebe? Ich mache mir etwas aus dir, ich fühle mich für dich verantwortlich. Gelegentlich finde ich dich sogar recht hübsch“, neckte er sie sanft. „Du und ich – wir passen einfach zueinander. Nenn es, wie du willst. Ich weiß nur, dass du nicht dein Leben lang allein bleiben solltest. Du doch nicht. Du soll- test Ehefrau und Mutter sein. Das
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