Gaelen Foley - Knight 02
später wieder zu zügeln. Mit einem Pferd konnte er sich un- möglich anschleichen, viel zu laut hallte das Hufgeklapper durch die stillen Gassen. Der Lärm würde Bardou auf ihn aufmerksam machen, und außerdem würde der Mann ohne- hin bald in irgendeinem Lagerhaus verschwinden.
Während seine Männer Staffords Kutsche zurück zur Lon- don Bridge verfolgten, glitt Lucien vom Pferd und ging Bar- dou zu Fuß nach. Er versuchte nicht daran zu denken, dass er sein edles Pferd ohne Bewachung in einem Gaunerviertel stehen ließ, denn alles, was jetzt noch zählte, war, dass er Bardou fasste. Mit Zorn im Herzen und der Pistole im An- schlag schlich er seinem Feind nach. Er hatte nicht vor, ihm in den Rücken zu schießen, weil Lucien vermutete, dass der Mann außer Ethan Stafford noch andere Komplizen hatte, die den Anschlag ausführen würden, auch wenn Bardou selbst tot war. Er konnte die Bedrohung nur dann ganz aus dem Weg räumen, wenn er Bardous Unterschlupf fand und alle Pläne aufdeckte.
Dann erst, schwor Lucien sich, werde ich den Mistkerl über den Haufen schießen. Während er Bardou nachsetzte, tobten blutrünstige Rachegefühle in ihm, die nicht einmal der Anblick von St. Dunstans schwerelosem Kirchturm und den Heiligenfiguren zu besänftigen vermochte. Als Bardou
in die Kirche rannte, fiel Lucien auf, dass der Franzose mit dem linken Bein ein wenig hinkte. In der alten Kirche staub- ten ein paar alte Damen unter leisem Geplauder das Gestühl ab. Unbemerkt schlich Lucien sich durch das düstere Kir- chenschiff, immer Bardou nach, der auf der anderen Seite wieder ins Freie trat.
Auch Lucien begab sich wieder nach draußen in den Lärm und den kalten, bewölkten Nachmittag. Er verfolgte Bardou den Hügel hinunter und zurück in die Lower Thames Street. Zu seiner Überraschung kehrte der Mistkerl zur Blackfriars Bridge zurück und überquerte die Themse.
Dann operierte er also nicht von der Innenstadt aus! Kein Wunder, dass die Durchsuchung der Lagerhäuser am Fluss nichts ergeben hatte. Sein Hauptquartier befand sich am an- deren Flussufer, in Southwark oder Lambeth.
Lucien folgte ihm zum südlichen Themseufer und dann rechts in die Upper Ground Street. Überall wurde noch ge- arbeitet, die letzte Stunde, bevor der Feierabend anbrach. Die Herbstluft war vom Geruch nach Fisch und den ver- schiedenen Fabriken erfüllt. Bardou eilte entschlossen wei- ter, wobei er immer stärker zu hinken begann. Er ging an der alten Barge Brewery vorbei, dann an einer Baumwollmanu- faktur und einer Eisengießerei. Lucien folgte ihm an einem geschäftigen Sägewerk vorbei, bis Bardou endlich auf ein verfallenes Lagerhaus zulief, das einsam und unkrautüber- wuchert am Flussufer stand. Obwohl es verlassen wirkte, stieg Rauch aus dem Schornstein auf.
Sich im Schatten des hohen Zauns haltend, der das Säge- werk nebenan umgab, schlich sich Lucien näher, wobei er das Terrain in der Dämmerung sorgfältig in Augenschein nahm. An den beiden Ecken des Gebäudes, die er von seinem Standort aus sehen konnte, hielt jeweils ein Bewaffneter Wa- che. Bardou erwiderte ihren Gruß und schlüpfte dann ver- stohlen ins Gebäude.
Lucien musste damit rechnen, dass an den anderen beiden Ecken ebenfalls Wachen postiert waren, doch er bezweifelte, dass sich drinnen noch viel mehr Männer befanden. Auf feindlichem Boden beschränkte sich der kluge Agent auf eine kleine Anzahl der besten Männer, die er bekommen konnte. Lucien hätte sehr gern gewusst, was sich im Inneren des La- gerhauses befand, aber erst musste er die Wachen loswerden.
In seinen Augen blitzte blanke Mordlust, und in seinen Adern pulsierte Rachsucht, als er die Pistole einsteckte und den Dolch mit einem leisen, metallischen Laut aus der Scheide zog. Er hielt sich weiter im Schatten, huschte von Deckung zu Deckung, schlich sich näher wie ein Löwe im hohen Gras. Mit heftig klopfendem Herzen verbarg er sich hinter einzelnen Maschinenteilen, um unbemerkt zu bleiben. Als er nahe genug für einen Angriff war, duckte er sich.
Ein paar Augenblicke später drehte sich der erste Wach- mann um, weil er ein verdächtiges Geräusch gehört hatte. In diesem Augenblick tauchte Lucien hinter ihm auf, packte ihn, hielt ihm den Mund zu und schlug ihn bewusstlos. Fast elegant ließ er den Mann zu Boden sinken und schob ihn au- ßer Sichtweite. Dann zog er sich in den Gebäudeschatten zu- rück. Die Rache berauschte ihn, und gleichzeitig bemühte er sich, Alices Liebe im Herzen zu behalten,
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