Gaelen Foley - Knight 02
Krieg gewesen.“
Lucien war sich nicht sicher, wie viel ihr Bruder ihr erzählt hatte. Als sie ihm einen Augenblick später sanft die Hand auf den Arm legte, schaute er schweigend darauf hinab. Es war das erste Mal, dass sie ihn freiwillig berührte.
„Captain Lucien, Sie wirken auf einmal so grimmig“, be- fand sie. „War die Schlacht für Sie so schlimm?“
„Sie war für alle schlimm“, entgegnete er achselzuckend und wandte den Blick ab, selbst irritiert von seiner auswei- chenden Antwort. Er starrte in den dunklen Wald, während er vor sich die Bilder der Schlacht sah, schwarze Rauchfah- nen über tausend Leichen in scharlachroter Uniform, die sich rings um die spanische Zitadelle auftürmten. Die briti- sche Armee hatte die mit den Franzosen sympathisierende Stadt unterworfen. „Es war weniger die Belagerung selbst als das, was ... danach geschah“, stieß er hervor. Forschend musterte er sie. „Hat Ihr Bruder Ihnen berichtet?“
„Ein bisschen“, erwiderte Alice düster.
„So etwas erzählt man jungen Damen normalerweise nicht ... aber ich habe versprochen, Ihnen die Grausamkeiten die- ser Welt nicht zu verschweigen, nicht wahr?“
Sie nickte. „Ich möchte es wissen.“
„Als die Stadt fiel, hatten wir bereits so viele Verluste, dass die Truppen außer sich waren, in einem richtigen Rausch. Es waren unsere Leute, Engländer, die sich dann in reißende Bestien verwandelten. Sie haben die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Geplündert, vergewaltigt, gemordet. Wir Of- fiziere haben drei Tage gebraucht, um sie wieder unter Kon- trolle zu bekommen.“ Er beobachtete ihre Miene. Sie schien spielend damit fertig zu werden. Zwar wirkte sie beküm- mert, aber keineswegs hysterisch – und er hatte es bitter nö- tig, darüber zu sprechen. „Wir haben einen Galgen errichtet und die schlimmsten Missetäter hingerichtet. Danach habe ich die Armee verlassen – ich dachte, es müsste einen besse- ren Weg geben.“
„Und dann sind Sie zum diplomatischen Korps gestoßen?“
Er nickte.
Nachdenklich betrachtete sie ihn. „Dafür bewundere ich Sie“, sagte sie plötzlich. „Bestimmt haben Sie sich für diese Entscheidung von vielen Kameraden Kritik eingehandelt,
aber Diplomatie ist immer besser als Krieg. Was für eine Wil- lenskraft Sie haben müssen, sich so gegen die Mehrheit zu stellen. Ich wünschte, mein Bruder hätte sich wie Sie ent- schieden oder, noch besser, hätte dieselbe Willenskraft be- sessen ... Darf ich Ihnen berichten, warum Phillip in den Krieg zog?“
„Sie können mir alles erzählen“, antwortete er, während er innerlich die leisen Schuldgefühle ob ihres fehlgeleiteten Kompliments abzuwehren versuchte. Seine Aufgabe im di- plomatischen Korps war gewiss keine friedliche gewesen, aber natürlich durfte er ihr nichts von seiner Rolle als Spion verraten. Schon bei der Vorstellung schauderte ihn. Die Wahrheit würde sie ebenso vertreiben, wie sie Damien ver- trieben hatte. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Außer- dem war es gefährliches Wissen. Zu ihrer eigenen Sicherheit wäre es besser, ihr nichts zu sagen.
„Caro ließ gewisse Bemerkungen fallen, mit denen sie die Männlichkeit meines Bruders in Zweifel zog“, begann sie. Über ihr Gesicht huschte ein bitterer Ausdruck. „Aber sie wollte ihn nur aus dem Weg haben, damit sie sich in London danebenbenehmen konnte, ohne dass ihr Gatte ihr dabei über die Schulter sah. Leider hat Phillip sie nicht durch- schaut. Stattdessen nahm er sich ihre Worte zu Herzen – und zog in den Krieg.“
Lucien schüttelte den Kopf. „Männer tun aus Stolz eine Menge Unsinn“, verkündete er bedauernd.
„Er kam mit fürchterlichen Säbelwunden nach Hause, die sich entzündet hatten. Peg – das ist unsere alte Kinderfrau, die sich jetzt um Harry kümmert – und ich haben ihn Tag und Nacht gepflegt, aber wir wussten, dass er sich nicht erholen würde. Phillip ahnte es auch, aber zumindest konnte er Har- ry noch einmal Wiedersehen, und wir konnten uns verab- schieden.“
„Standen Sie sich nahe?“
Sie nickte. „Der frühe Verlust unserer Eltern hat uns zu- sammengeschweißt.“
Lucien verkrampfte sich.
Sie wandte den Blick ab. „Es hat drei Wochen gedauert, bis er gestorben ist. Er war erst neunundzwanzig.“
„Das tut mir Leid“, flüsterte er.
Prüfend betrachtete sie ihn, während der Wind durch ihr
Haar und ihre Kleider strich. „Besser nicht. Wenn er noch am Leben wäre, würde er Sie wegen dieser Angelegenheit
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