Gaelen Foley - Knight 02
„Ihre Mutter war in der Grotte?“
„Ich fürchte, ja. Andererseits, wenn sie nicht dort hinabge- stiegen wäre, würde ich nicht existieren – und wo wäre ich dann? Die Herzogin mag ein wildes, extravagantes Frauen- zimmer gewesen sein, aber sie war immer offen und sich selbst treu. Sie war ein Original, das muss man ihr lassen. Sie wirken immer noch schockiert.“
Verwirrt starrte sie ihn an.
Er schob sich dichter an sie heran und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Also gut, meine liebe Miss Montague, ich weihe Sie in unser Familiengeheimnis ein, obwohl ich eigentlich dachte, der ganze ton wüsste Be- scheid. Nur mein ältester Bruder, der gegenwärtige Duke of Hawkscliffe, und meine Schwester Jacinda stammen vom Herzog ab. Wir anderen sind leider Kuckuckseier im Famili- ennest. Der Herzog hat uns anerkannt, um das demütigende Eingeständnis zu umgehen, dass seine Frau ihm schon wie- der Hörner aufgesetzt hatte.“
Sie schaute ihn entsetzt an und wandte sich dann ab. „Ich glaube“, sagte sie ernst, „dass es Zeit wird für unseren Tee.“ Sein Lächeln erlosch. Er schob die Hände in die geräumi- gen Manteltaschen und blickte auf seine glänzenden schwar- zen Stiefel hinunter. „Jetzt denken Sie wegen meiner Her- kunft schlechter von mir.“
„Nein ...“
„Doch. Ich sehe es Ihnen an.“
„Nein, Lucien, das ist es nicht. Ich bin ... verlegen.“
Misstrauisch betrachtete er sie.
„Ich werde einfach nicht schlau aus Ihnen“, verkündete sie. „Bestimmt schmerzt Sie das, hat Sie Ihr Leben lang ge- schmerzt, und doch lachen Sie. Ich verstehe das nicht. Und ich bin es nicht gewohnt, über so intime Dinge zu sprechen, vor allem nicht mit einem Mann, den ich kaum kenne.“
„Alice.“ Er neigte sich zu ihr und schaute ihr in die Augen, zwang sich dabei, die Hände in den Taschen zu lassen, ob- wohl er sich danach sehnte, sie in die Arme zu nehmen. Ihr fragender Blick war so ernst, so verletzlich. „Bitte seien Sie
nicht verlegen. Das lag nicht in meiner Absicht. Ich unter- halte mich gern mit Ihnen.“
Sie lächelte unsicher, während der Wind mit ihren Locken spielte.
Er erwiderte das Lächeln, nahm die Hände langsam aus den Taschen und strich ihr das Haar sanft aus dem Gesicht. Ihr Lächeln verstärkte sich, und die Röte stieg ihr in die Wangen.
„Wie kann man das erklären?“ murmelte er. „Manche Leu- te kennen wir von klein auf und wissen doch gar nichts über sie. Und dann gibt es andere Leute ...“ Unfähig, der Versu- chung zu widerstehen, streichelte er ihr hauchzart über die Wange. Ihre kobaltblauen Augen flackerten, aber sie sagte nichts, hörte nur aufmerksam zu. „Andere Leute, denen wir gerade erst begegnet sind, bei denen wir das Gefühl haben, als würden wir sie schon unser Leben lang kennen.“
Sie hielt seinem Blick stand, rückte jedoch ein Stück von ihm ab. „Zu wie vielen Frauen haben Sie das schon gesagt?“ Er zuckte zusammen und runzelte verärgert die Stirn, ob- wohl er wusste, dass er die Bemerkung verdient hatte. „Ich spiele nicht mit Ihnen“, entgegnete er hart. „Es mag eine Zeit gegeben haben, in der ich das getan hätte, aber ich bin kein Junge mehr. Ich habe schon zu viel Tod, zu viel Schmerz ge- sehen, und alles, was ich jetzt will ...“ Er brach ab.
„Was, Lucien? Was wollen Sie?“ flüsterte sie.
Sein Blick wanderte zu ihren Lippen. Lucien strich ihr von der Wange hinab zum Kinn und machte einen Schritt auf sie zu, bis keinerlei Raum mehr zwischen ihnen war. Er sah noch das Begehren und die Verwirrung in ihren blauen Augen, be- vor er selbst die Augen schloss, den Kopf neigte und ihre Lippen mit den seinen liebkoste. Vorsichtig nahm er sie in die Arme, zitternd in jenem magischen Moment, da er spür- te, dass sie sich an ihn schmiegte. Sie öffnete die Lippen, ließ seine Zunge in ihren warmen Mund eindringen. Sehnsüchte Verzückung überkam ihn. Er hielt ihr Gesicht mit den Hän- den umschlossen und labte sich an dem Kuss, kostete ihn mit einer Zärtlichkeit aus, die aus dem Wissen um ihre Unschuld resultierte. Sie klammerte sich an ihn, hier am Abgrund.
„Bitte“, stöhnte sie und versuchte das Gesicht abzuwen- den. Ihre Wangen waren rosenrot, ihre Augen fiebrig blau.
„Schau mich an.“ Er umfasste ihr Kinn und zwang sie, sei-
nem hungrigen Blick zu begegnen. „Ich werde dir nicht weh- tun“, flüsterte er. „Das könnte ich niemals – eher würde ich sterben.“
„Warum müssen Sie mich dann
Weitere Kostenlose Bücher